Zeit für eine neue Lösung?

Seit 50 Jahren gibt es die Fristenlösung, die es einer Frau ermöglicht, ihre Schwangerschaft bis zum dritten Monat straffrei abzubrechen. Was damals ein Meilenstein in puncto Frauenrechte war, gehört heute neu diskutiert, sagen Expertinnen.

von Eva Schwienbacher
Doris Linser, Gründerin des Aktionskomitees § 144 und erste Obfrau des Arbeitskreises für Emanzipation und Partnerschaft. (c) AEP Archiv

Es darf in Österreich nicht – wie es derzeit der Fall ist – vom Wohnort, dem Einkommen und einzelnen Köpfen abhängen, ob eine schwangere Frau einen Abbruch durchführen lassen kann oder nicht. Vielmehr braucht es eine flächendeckende und kostenlose Versorgung, bessere Aufklärung, Sexualerziehung und Prävention sowie eine Enttabuisierung des Themas. Nur so sind Frauen in der Lage, frei über ihren Körper zu bestimmen. So lautet der Tenor der gut eineinhalbstündigen Podiumsdiskussion zum Thema „50 Jahre Fristenregelung“ am 4. Dezember in der Bibliothek des Arbeitskreises für Emanzipation und Partnerschaft (AEP).

Unter der Moderation von Magdalena Flatscher-Thöni von der UMIT Tirol beleuchteten vier Expertinnen das Thema aus unterschiedlichen Blickwinkeln und erläuterten, warum es ihrer Meinung nach eine gesetzliche Überarbeitung braucht.

Erlaubt oder nicht?

Die Fristenlösung, mit der seit 1975 Abbrüche bis zum dritten Schwangerschaftsmonat straffrei sind, wenn sie von Ärztinnen und Ärzten nach Beratung durchgeführt werden, war vor 50 Jahren sehr fortschrittlich. Heute, so die vier Expertinnen, gehört sie neu diskutiert. Als Zeitzeugin sitzt an jenem Mittwochabend Irmtraut Karlsson am Podium. Die promovierte Psychologin und ehemalige Politikerin war Mitglied des Aktionskomitees zur Abschaffung des Paragraphen 144, der bis 1974 bis zu fünf Jahre „schweren Kerker“ für abtreibende Frauen vorsah.

„Die Juristinnen und Juristen in Österreich sind sich nicht einig, ob es heißt, dass Schwangerschaftsabbrüche erlaubt sind oder nicht.“ Christine Baur

Die Fristenlösung war eine große Errungenschaft der Frauenbewegung der 1970er-Jahre, erzählt Karlsson, doch heute braucht es eine Regelung außerhalb des Strafrechts im Medizinrecht. Auch die Juristin, AEP-Obfrau und ehemalige Politikerin Christine Baur sieht die aktuelle Regelung im Strafgesetzbuch problematisch und zitiert den Paragraphen 96 (siehe Factbox). Das Gesetz ließe es offen, ob Abbrüche erlaubt sind oder nicht. „Es gibt zwar keine große Debatte darüber, aber die Juristinnen und Juristen in Österreich sind sich nicht einig, ob es heißt, dass Schwangerschaftsabbrüche erlaubt sind oder nicht“, sagt Baur. „Ich bin überzeugt, das heißt es nicht, sondern nur, dass man nicht bestraft wird.“ Das wirke sich auf die Frauen- und Gesundheitspolitik aus und sei laut der früheren Tiroler Soziallandesrätin neben dem Einfluss der katholischen Kirche auch ein Grund für die schlechte Versorgung von Frauen in Tirol, die ungewollt schwanger geworden sind. In Tirol führt bekanntlich nur ein Frauenarzt offiziell Abbrüche durch. Versuche, das Angebot auszubauen, scheiterten bisher. Für Baur müssten Abbrüche nicht nur aus dem Strafrecht rausgenommen, sondern auch zu einer Versicherungsleistung werden. „Das würde wahnsinnig viel verändern, das können wir uns gar nicht vorstellen“, sagt sie. Dass das die Zahl der Abbrüche in die Höhe schnellen lassen würde – so lautet eine oft geäußerte Sorge von Abtreibungsgegnerinnen und -gegner –, treffe laut Baur nicht zu. Das zeige etwa das Beispiel Kanada, wo Abbrüche seit 1988 straffrei sind.

Versorgung in Tirol

Auf Nachfrage des 20ers, wie Tirols Gesundheitslandesrätin Cornelia Hagele zur Forderung einer Straffreistellung von Schwangerschaftsabbrüchen steht, verweist das Land in einer schriftlichen Stellungnahme auf die Zuständigkeiten des Bundes. Zur aktuellen Situation in Tirol heißt es: „Der Fokus bleibt weiterhin auf der Sicherstellung eines bedarfsgerechten, niederschwelligen und medizinisch qualitätsvollen Zugangs zu Schwangerschaftsabbrüchen in Tirol. Aktuell laufen dazu intensive Gespräche mit der Ärzteschaft. Wie ein neues künftiges Angebot aussieht, kann erst nach Abschluss der Gespräche und allen voran konkreten Vereinbarungen bekanntgegeben werden.“ Medikamentöse Abbrüche seien grundsätzlich bei allen Gynäkologinnen und Gynäkologen gesetzlich möglich. Wie viele diese tatsächlich durchführen, dazu gebe es keine Zahlen. Prinzipiell sei der Schwangerschaftsabbruch ein höchstsensibles Thema, weshalb hier seitens des Landes stets auf die Gewissensfreiheit und Freiwilligkeit der Ärztinnen und Ärzte Rücksicht zu nehmen sei.

Ähnlich sieht es Martina König-Bachmann. Die Hebamme, Psychotherapeutin und Leiterin des Bachelor-Studiengangs Hebamme an der FH Gesundheit in Innsbruck beschäftigt sich seit über 40 Jahren mit dem Thema. „Je besser die Aufklärung und je niederschwelliger der Zugang zum Abbruch ist, desto niedriger ist die Abbruchrate. Das ist weltweit nachgewiesen“, sagt König-Bachmann. „Ich denke, dass durch eine Straffreistellung Abbrüche zurückgehen würden – vor allem die gefährlichen, also die nicht medizinisch durchgeführten.“ Auch König-Bachmann zufolge hänge die mangelnde Versorgungssituation Tirols mit der aktuellen gesetzlichen Regelung zusammen.

1972 fordern Frauen vom Aktionskomitee § 144 in Innsbruck die Straffreistellung von Schwangerschaftsabbrüchen. (c) AEP Archiv
Angriff auf Frauenrechte.

In der Debatte um das Thema stört sich die Hebamme ebenso wie Baur daran, dass Abbrüche oft als leichte Verhütungsform dargestellt werden. „Ich finde, diese Aussage ist die größte Beschämung, die man Frauen zuteilwerden lassen kann.“ Darüber hinaus kursierten sehr viele Falschinformationen. Es brauche bessere Aufklärungsarbeit und Bildung, um Stigmatisierungen vorzubeugen. „Wir müssen in der Gesundheitsversorgung, in der Ausbildung von Ärztinnen, Ärzten und Hebammen und in der Psychotherapie Tabus brechen“, sagt König-Bachmann.

Als vierte Diskutantin beschreibt die Politikwissenschaftlerin und Gender-Forscherin Judith Götz von der Universität Innsbruck, wie rechte Ideologien gegen feministische Errungenschaften wie die Fristenlösung vorgehen. Antifeminismus stelle oft eine Reaktion auf Fortschritte in der Gleichstellung dar. In Österreich sei dies beispielsweise während der letzten türkis-blauen Regierung sichtbar geworden, als verpflichtende Beratungen vor Abtreibungen nach deutschem Vorbild ins Regierungsprogramm aufgenommen wurden. Solche Maßnahmen, die scheinbar harmlos wirken, erschweren laut Götz vor allem ärmeren Frauen den Zugang zu Abbrüchen. „Auf den ersten Blick scheint das nicht so bedrohlich, aber das sind letztlich Maßnahmen, die versuchen, Schwangerschaftsabbrüche durch die Hintertür zu verunmöglichen“, so Götz.

Auch das Publikum nimmt rege an der Diskussion in der vollen AEP-Bibliothek teil. Es will etwa wissen, wie die rechtliche Situation in anderen Ländern aussieht, wo Österreich im EU-Vergleich steht, was es in der Praxis hieße, wenn Schwangerschaftsabbrüche zur Kassenleistung werden würden. Auf die abschließende Frage, wie man bei einem so polarisierenden Thema mit andersdenkenden Menschen im Dialog bleiben kann, erzählt König-Bachmann, dass sie im Laufe der letzten Jahrzehnte schon viele Diskussionen geführt hat. „Ich bin für Schwangerschaftsabbrüche an öffentlichen Krankenhäusern und als Kassenleistung, was viele überrascht, weil ich Hebamme bin“, sagt sie. „Als solche bin ich für das Leben. Aber auch für Menschenrechte.“ Das eine Argument gibt es für sie nicht. Eines ist aber, dass Verbote Abtreibungen nicht verhindern. „Mein Zugang ist, im Dialog zu bleiben. Ich ringe immer und immer wieder mit Menschen, die eine andere Position haben. Das mache ich seit 40 Jahren und werde es auch weitermachen.“

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