Wo das Geld fehlt

Wie viele junge Menschen in Österreich genau verschuldet sind, ist unklar, da noch keine umfangreiche Studie dazu existiert. Einen Eindruck davon, wie viele junge Erwachsene ihre Schulden nicht mehr zurückzahlen können und warum, liefern Insolvenzstatistiken und Schuldenberatungen. Fest steht: Auf Pump zu kaufen, wird immer leichter.

von Eva Schwienbacher
Buy now. Pay later. Ratenzahlung kann zu großen finanziellen Problemen führen. Buy now. Pay later. Ratenzahlungen können zu großen finanziellen Problemen führen (c) Lea Plibersek

Eine erschreckende Tendenz: Die Zahl der Menschen unter 24 Jahren, die in Österreich 2023 Privatinsolvenz angemeldet haben, ist laut Alpenländischem Kreditorenverband (AKV) um 22 Prozent gestiegen. Das war der höchste Anstieg in den verschiedenen Alterskategorien im vergangenen Jahr. Um die Zunahme einzuordnen, muss man die Gesamtzahl betrachten, erklärt Franz Blantz, Leiter des Insolvenzbereichs beim AKV. „Im Hinblick auf die Gesamtinsolvenzen machten die unter 24-Jährigen mit etwas mehr als zwei Prozent nur einen kleinen Anteil aus. Aber der Anstieg war 2023 massiv, speziell in Tirol.“ Konkret betroffen waren österreichweit 192 junge Erwachsene zwischen 18 und 24 Jahren, in Tirol 15 Personen. 2022 waren es in ganz Österreich noch 158.

Spitze des Eisbergs.

Die Insolvenzstatistik zeigt allerdings nur einen Teil der Schuldensituation. Wie viele junge Erwachsene in Österreich tatsächlich verschuldet sind, weiß man nicht. Ein Schuldenregulierungsverfahren wird nämlich meist erst nach Jahren der Zahlungsunfähigkeit angestrebt, sprich erst dann, wenn es zu spät ist. Außerdem hängen die Antragstellungen von den Kapazitäten der Schuldenberatungen und Gerichte ab. Eine Zahlungsunfähigkeit mit Anfang zwanzig weist aber darauf hin, dass bereits vorher Rechnungen oder Kreditraten nicht gezahlt wurden.

Speziell über die Situation der unter 18-Jährigen weiß man wenig. Diese können zwar aufgrund beschränkter Geschäftsfähigkeit weniger leicht Schulden machen, das heißt aber nicht, dass sie sich nicht privat Geld ausleihen können. Eine neue Erhebung, an der derzeit die ASB Schuldnerberatung (Dachorganisation der Schuldenberatungen in Österreich), das Sozialministerium und die Statistik Austria arbeiten, soll ein klareres Bild der Schuldensituation in Österreich liefern. Erste Ergebnisse werden Anfang 2025 vorliegen, danach sind jährliche Updates geplant.

Neue Finanzierungsoptionen.

Bei der Schuldenberatung Tirol bekommen Menschen Unterstützung, wenn sie überschuldet sind, also Schulden nicht mehr zurückzahlen können. In den meisten Fällen werden die Schuldenregulierungen durch einen Privatkonkurs erreicht, sagt Thomas Pachl, Geschäftsführer der Schuldenberatung Tirol. Die 18- bis 25-Jährigen machen laut Pachl im Schnitt zwischen sieben und zehn Prozent aus, gemeinsam mit den 26- bis 35-Jährigen kommen sie auf über vierzig Prozent und bilden die größte Gruppe. „Daran sieht man, dass gerade in jungen Jahren Schulden gemacht werden. Das ist die Zeit, in der viele einen Kredit für ein Auto oder eine Wohnung samt Einrichtung aufnehmen. Wenn es dann nicht nach Plan läuft, man etwa plötzlich durch einen Jobwechsel weniger verdient oder den Job verliert, kann das zu finanziellen Problemen führen.“

Einen sprunghaften Anstieg bei der jüngsten Altersgruppe, wie ihn der AKV präsentiert hat, habe man 2023 nicht bemerkt, was aber auch an einer unterschiedlichen Alterskategorisierung liegen könnte. Auch sei laut ASB der Anteil der unter 30-Jährigen, die eine Schuldenberatung in Österreich aufsuchen, seit 2017 relativ stabil. Was eindeutig zugenommen hat, sagt Pachl, der seit über 30 Jahren in der Schuldenberatung arbeitet, ist die Anzahl der Gläubiger bei der jüngsten Altersgruppe, weil die Finanzierungsoptionen mehr geworden sind. „Der Zahlungsanbieter Klarna mit seinem Ratenzahlungsmodell ist vielen schon ein Begriff, außerdem sind in den letzten Jahren neue Online-Banken aufgetaucht, wie Cashpresso oder Advanzia. Die Leute finden diese Anbieter und machen Schulden bei vielen Stellen“, sagt Pachl.

Besonders sei das bei Klienten und Klientinnen zu beobachten, die schon einen Kredit laufen haben. Brauchen sie neues Geld, das ihnen die Hausbank nicht mehr gibt, wenden sie sich an andere Kreditinstitute im Internet oder außerhalb, die unkomplizierter Kredite vergeben. Und letztere seien sehr oft sehr teuer. „Ein Klient hat sich beispielsweise bei der Santander Bank 34.000 Euro für ein Auto geliehen und muss verteilt auf zehn Jahre 71.000 Euro zurückbezahlen, weil er 18 Prozent Zinsen zahlt.“ Das Beispiel sei sicher extrem, aber es zeige, dass viele oft nicht genau wüssten, was sie unterschreiben. Das betreffe bei weitem nicht nur die jüngere Generation.

Wie Schulden wachsen.

Unwissen herrsche bei vielen auch darüber, wie teuer Nicht-Zahlen werden kann: Bei offenen Rechnungen fallen hohe Mahngebühren an. Kommt man der Zahlungspflicht weiterhin nicht nach, greifen häufig Inkasso- oder Rechtsanwaltsbüros ein, wodurch weitere Kosten entstehen. Laut einer Erhebung der ASB verdreifachen sich die Schulden aufgrund von Zinsen und Kosten innerhalb von acht Jahren, wenn sie nicht bezahlt werden. Und meist, das sagt auch Pachl, warten die Menschen zu lange, bevor sie eine Schuldenberatung aufsuchen.

Die Möglichkeiten, sich zu verschulden, sind groß. Wer Geld will, bekommt Geld.

Thomas Pachl, Geschäftsführer Schuldenberatung Tirol.

Junge Menschen aus finanzkräftigen Familien erhalten oft Unterstützung von Verwandten oder Bekannten, wenn Geldnot herrscht, und haben öfter ein finanzielles Polster. Wer aber aus einer Familie ohne Geld kommt, muss mehr fremdfinanzieren, um sich etwas aufzubauen, und läuft eher Gefahr, sich zu überschulden. „Die Möglichkeiten, sich zu verschulden, sind groß. Wer Geld will, bekommt Geld.“ Es bestehe auch kein Interesse daran, das zu ändern. „Das will ja keiner. Weder die Wirtschaft, die lebt ja gut davon, noch die Konsumentinnen und Konsumenten, die sich etwas kaufen wollen.“ Pachl ist für eine strengere Bonitätsprüfung durch Online-Banken, hält es aber nicht für realistisch, dass diese kommt. Dazu fehle auch der politische Wille, was sich etwa an der Kritik an den verschärften Kriterien für private Immobilienkredite, die seit 2022 in Österreich gelten, zeige.

Überblick verschaffen.

Was bleibt, ist auf der einen Seite die Eigenverantwortung. Pachls Empfehlung (unabhängig vom Alter): Vor größeren Anschaffungen eine Kostenkalkulation und einen Haushaltsplan erstellen, etwa klassisch mit Papier und Stift oder Online-Tools, und vor Unterzeichnung eines Kreditvertrags die Raten probeweise drei Monate zur Seite legen, um zu sehen, was zum Leben übrig bleibt. Auf der anderen Seite schließt er sich jenen Fachleuten an, die eine bessere Finanzbildung fordern und darin einen wichtigen Schlüssel in der Schuldenprävention sehen. Die neuen Lehrpläne (siehe Beitrag Seite 12) sieht er als einen ersten Schritt.

Pachls Versuch, in Tirol eine Budgetberatung für Menschen mit finanziellen Fragen noch ohne Schulden aufzubauen, so wie es sie in den anderen Bundesländern gibt, scheiterte an der Finanzierung. Warum es für das Projekt kein Geld gibt, erklärt das Land Tirol auf Nachfrage damit, dass dieses nicht die erforderlichen Qualitätskriterien erfüllt habe. Es sei nicht gelungen, Sozialvereine und Ehrenamtliche ausreichend einzubinden. Das Land verweist auf vergleichbare Einrichtungen, die es bereits gebe. Weitere Pläne für eine Budgetberatung gebe es daher nicht. Damit bleibt Tirol das einzige Bundesland ohne dieses Angebot. Eines, das Menschen dabei helfen könnte, gar nicht erst in die Überschuldung zu geraten.

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