Frau Pohl, kann man ein Haus ausschließlich mit Hanf dämmen?
Ja, sogar sehr einfach. Noch im Studium lehrte man uns Wandaufbauten, wo zehn bis zwanzig verschiedene Schichten und Materialien notwendig sind. Die Magie bei Hanfkalk: Du hast ein einziges Material, das bei Neubauten ungefähr 34 bis 40 Zentimeter dick eingesetzt wird. Es ist wärmedämmend, schallisolierend, antibakteriell, brand- und schimmelresistent zugleich. Und wiederverwendbar: Du kannst die Dämmpaneele schreddern, wieder mit Kalk anmischen und in neuen Baustoff verwandeln. So erzeugen wir einen zirkulären Baustoff. Wird er nicht mehr gebraucht, wandert er zurück aufs Feld.

Ihr Unternehmen Kommando Hanf ist jung. Wie kamen Sie auf die Idee, mit Hanf zu bauen?
Ich habe mich im Studium ausführlich mit Hanf-Lehm beschäftigt und bemerkt, dass Lehm zwar ein tolles Naturmaterial ist, in unseren Breitengraden jedoch als nicht geschützte Fassade relativ schnell verwittert. Hanf wiederum bietet in Kombination mit Kalk perfekte Eigenschaften. Hanfkalk ist nicht nur einfach in der Handhabung, der Stoff härtet mit der Zeit immer weiter aus. Er mineralisiert, wird robuster. In Südtirol fertigt das Unternehmen Schönthaler schon lange Wärme-Dämm-Ziegel. Wir wollen den Baustoff auch in Nordtirol populär machen.
„Hanf braucht keinen Dünger, keine Pestizide. Er ist unglaublich robust und wächst fast von allein.“
Julia Pohl, Baustoff-Produzentin
Ihre Hanfkalk-Paneele sind bald serienreif. Sie sollen die Akustik und Temperierung von Gebäuden verbessern. Wo könnte man sie in der Stadt einsetzen?
Viele städtische Bestandsbauten sind schlecht isoliert und überhitzen gerade in den Dachgeschossen sehr schnell. Im Winter geht viel Wärme verloren. Oft gibt es ein Schimmelproblem. Eine Hanfkalkdämmung funktioniert auf jeder Bestandswand, egal ob Beton, Ziegel, Stahl oder Holz. Sie ist atmungsaktiv, kann Feuchtigkeit aufnehmen, speichern und wieder an die Umgebungsluft abgeben, wenn es zu trocken wird. Das mag auf das städtische Klima kurzfristig keine großen Auswirkungen haben, das Klima von Innenräumen gewinnt aber massiv. Und ich bin überzeugt: Wir werden nicht umhin kommen, auf natürliche Baulösungen zurückzugreifen. Zum Vergleich: Eine herkömmliche Ziegelwand bedeutet einen CO2-Ausstoß von rund 100 Kilogramm pro Quadratmeter. Eine damit vergleichbare 30 Zentimeter starke Wand aus Hanfkalk bindet dagegen 40 Kilogramm pro Quadratmeter.
Nachbessern ist also klüger als neu bauen?
Definitiv. Du kannst schlecht die ganze Stadt abbrechen. In Bestandsgebäuden steckt sehr viel graue Energie, die verloren ginge, wenn wir sie abreißen. Auch das Recycling kostet enorm viel Energie. Geschickter ist es doch, den Bestand zu erhalten und in einen klimaverträglichen Standard zu bringen. Ich wünsche mir, dass wir wegkommen von der Wegwerfarchitektur und wieder Häuser bauen, die 300 Jahre stehen können.
In Japan stehen Hunderte Jahre alte Häuser auf Hanfbasis. Wie verarbeiten Sie den Baustoff heute?
Es stimmt, in Japan gibt es den hanfbasierten Nakamura-Wohnsitz aus dem Jahre 1698 und er steht immer noch. Hanfkalk wurde in Frankreich in den Achtzigern populär und ist seither stark weiterentwickelt worden. Anfänglich wurde er eingesetzt, um Gebäude klimatisch nachzurüsten, später hat man ihn auch im Neubau angewandt. Wir mischen heute natürlich-hydraulische Kalke mit Hanfschäben – dem inneren Kern des Hanfstängels. In Österreich werden bisher nur die Blüten und Hanfblätter für Kosmetik und Lebensmittel verarbeitet. Der Stiel ist quasi Abfall. Den machen wir uns zunutze: Wir trennen den Stängel von den Fasern im Inneren. Diese besitzen einen sehr hohen Dämmwert, weil sie zu 70 Prozent aus Zellulose bestehen. Die zerstoßenen Schäben mischen wir mit Wasser, verschiedenen Kalken und einem natürlichen Bindemittel. Die Masse wir dann zu genormten Paneelen gepresst und für ein bis zwei Wochen luftgetrocknet. That’s it!
Das klingt fast zu einfach. Wie sah Ihr Weg aus?
Ich musste mir viel anhören, auch von Kollegen, die scherzten „Willst du das Haus dann rauchen?“ Anfangs hat das niemand wirklich ernst genommen, seit nun aber unsere Dämmstoffe entstehen und in Trins ein erstes Haus komplett mit Kalkhanf gebaut wird, beginnen die Leute zu begreifen, dass es funktioniert. Wir haben auf einem kleinen Feld von vielleicht 800 Quadratmetern in Kössen begonnen, Hanf zu kultivieren. Im Zuge meiner landwirtschaftlichen Facharbeiterausbildung konnte ich andere Bauern für die Pflanze begeistern. Hanf braucht ja keinen Dünger, keine Pestizide. Er ist unglaublich robust und wächst fast von allein. Er kann auch als Zwischenfrucht dienen, um den Boden wieder aufzulockern und sogar Giftstoffe zu entfernen. Wir haben sehr, sehr viele bauphysikalische Tests durchgeführt, auch in den Labors an der Universität, um ein witterungsbeständiges Mischverhältnis zu finden. Mittlerweile traue ich mich zu sagen: Wir sind so weit.
Keine weiteren Auflagen?
Hanfkalk wird dem Beton zugeordnet, was etwas irreführend ist, weil er nichts damit zu tun hat. Damit ist er aber bereits genormt. Man kann ihn legal verbauen, es gibt Brandzertifikate. Hier hat das bereits erwähnte Unternehmen Schönthaler aus Südtirol jahrelange Vorarbeit geleistet und schon sehr viel erreicht. Es ist an der Zeit, umzudenken und neue Lösungen miteinzubeziehen. Bei den herkömmlichen Baumaterialien hat sich herausgestellt, dass wir sie nicht zur Genüge recyceln können und dass sie sehr viel Energie fressen. Es ist krass, was ich bei Architekten auslöse, die vierzig Jahre mit XPS oder Beton gebaut haben. Dabei will ich lediglich neue Wege aufzeigen. Wir sollten offener sein.

In Trins entsteht Tirols erstes Haus auf Hanfbasis – als Trägermaterial dient Holz. (c) Nicolás Hafele