Christoph Wiederkehr ist kein großer Freund vom österreichischen Bildungssystem. „Ich werde auch ein Bundesminister sein, der zugibt, wo es Probleme gab und gibt, und die gibt es im Bildungsbereich zuhauf“, sagt er im März bei seiner ersten Rede im Nationalrat. Bildung an sich hält der 34-jährige Minister aber für unverzichtbar. „Gute Bildung ist das Fundament dafür, wie wir zusammenleben.“
Bildung ist der Grundpfeiler der Gesellschaft. Und die Grundpfeiler der Bildung sind Kindergärten und Schulen. In der neuen Regierung ist das Bildungsministerium erstmals für Kindergärten zuständig. Da scheint es klar, dass Bildungsminister Wiederkehr das Problem an der Wurzel packen möchte. Eines seiner zentralsten Vorhaben ist deshalb die Aufwertung der Elementarpädagogik. Dazu gehören etwa die Einführung eines verpflichtenden zweiten Kindergartenjahres bis 2027, die Schaffung von 4.000 Ausbildungsplätzen in den nächsten vier Jahren (inklusive eines eigenen Bachelor-Studiums für Elementarpädagogik), eine Verkleinerung der Gruppengrößen sowie eine gezielte Förderung von Deutschkenntnissen – um Integration und Chancengleichheit von Anfang an zu verbessern. Auch unter Experten findet Wiederkehrs Fokus auf Elementarpädagogik Anklang: „Für Kinder im Alter von drei bis sechs Jahren ist der Kindergarten nicht nur zum Spielen und zur sozialen Entwicklung da. Er ist auch eine Bildungsstätte“, sagt Professor Herbert Gimpl, ein erfahrener Hochschul- und Schulexperte aus Salzburg.
Lehrermangel beenden.
Auch den seit über zehn Jahren verlässlich Titelseiten zierenden Lehrermangel möchte Wiederkehr ein für alle Mal beenden. Und das bis 2029. Insgesamt gibt es circa 127.000 Lehrende an Österreichs Schulen. Bis 2030 geht rund ein Drittel von ihnen in Pension. 6.100 Stellen hat das Ministerium im April für das kommende Schuljahr neu ausgeschrieben, das sind etwa fünf Prozent. Das wirkt deshalb nicht nach sonderlich viel, weil der Lehrermangel laut dem Rechnungshof bisher primär durch Überstunden, fachfremdes Unterrichten und den Einsatz von nicht voll qualifiziertem Lehrpersonal ausgeglichen wurde. Österreichweit entsprachen diese Mehrdienstleistungen dem Äquivalent von ca. 7.000 Vollzeitstellen. Das sei laut Rechnungshof nicht nachhaltig und gefährde die Unterrichtsqualität.
Um dem entgegenzuwirken, möchte Wiederkehr die Ausbildung für Lehrerinnen und Lehrer in Zukunft praxisorientierter gestalten, damit zumindest Berufseinsteigende besser auf ihren Alltag vorbereitet sind. Ein weiterer wichtiger Punkt ist der Ausbau des 2022 von Ex-Bildungsminister Martin Polaschek (ÖVP) ins Leben gerufenen Quereinsteiger-Programms „Klasse Job“ (siehe S. 13).
Entbürokratisierung.
Eines der meistdiskutierten Ziele Wiederkehrs ist mit Sicherheit auch die geplante Entbürokratisierung, die unter anderem ebenfalls dem Lehrermangel entgegenwirken soll. Verstärkte Sekretariate sollen den Verwaltungsaufwand abfedern. Dadurch hätten Lehrende wieder mehr Zeit, um zu unterrichten. Außerdem sollen Rundschreiben vom Bildungsministerium an die Schulen um insgesamt 80 Prozent abnehmen. Was wohl bisher in den meisten dieser Schreiben drinstand, wenn der neue Bildungsminister nur 20 Prozent davon für relevant hält? Auch für den Bildungsexperten Gimpl ist Deregulierung wichtig. Er glaubt aber nicht, dass ein großflächiger Rückbau der Bürokratie von heute auf morgen möglich ist. Der Plan Wiederkehrs, die Schreiben und damit die Anweisungen an Schulen drastisch zu verringern, ist für ihn aber ein positives Zeichen: „Wiederkehr setzt auf die autonome Schule. Frei nach dem Motto: Schulen wissen selbst am besten, was sie können.“
Die Kompetenzkompetenz.
Wer ist zuständig? Die österreichische Gretchenfrage. In vielen Aspekten schieben sich Gemeinden, Land und Bund gegenseitig die Verantwortung zu. Bis 2019 war der Bund zuständig für Bundesschulen, die Länder für die Pflichtschulen. Die Schaffung der Bildungsdirektionen führte diese Aufgaben schließlich zusammen. Auch wenn es im Regierungsvertrag nicht in dieser Heftigkeit zum Ausdruck kommt, ist Minister Wiederkehr kein Freund dieses Systems. In seinem 2024 vor seiner Amtszeit als Bildungsminister erschienenen Buch „Schule schaffen“ beschreibt er sein jetziges Ministerium als „planlos“ und die Bildungsdirektionen als „Schlangengruben“. Für Gimpl gibt es die Bildungsdirektionen noch nicht lange genug, um ihren Erfolg oder Misserfolg zu beurteilen. Dass Wiederkehr generell klare Zuständigkeitsverteilung in den Mittelpunkt stellt, sei aber ein Schritt in die richtige Richtung: „Es geht um eine klare Verteilung der Aufgaben, institutionelle Befindlichkeiten sollten hier keinen Platz haben.“
Zwar sind zwölf Milliarden Euro für 2025 und 12,5 Milliarden für 2026 im Bereich Bildung im Budget vorgesehen. Aber wie alle anderen Ministerien muss auch das Bildungsministerium sparen. Das könnte, neben anderen Faktoren, Wiederkehrs Reformen verlangsamen oder zum Stillstand bringen. Ob Wiederkehr seine ambitionierten Pläne tatsächlich umsetzen kann, wird sich erst in den kommenden Jahren zeigen. Vieles hängt davon ab, ob es gelingt, die oft festgefahrenen Strukturen im Bildungsbereich aufzubrechen und Bund, Länder und Gemeinden zu gemeinsamer Verantwortung zu bewegen. Dann könnte das Bildungssystem bis 2029 tatsächlich ein anderes Gesicht haben. Scheitern die Vorhaben jedoch, droht Österreich in altbekannten Debatten stecken zu bleiben.
Bildungsminister Christoph Wiederkehr (Neos) im März 2025 beim Pressefoyer nach dem Ministerrat. (c) Andy Wenzel