Vor zwei Jahren ist Ihr Buch „Freitag ist ein guter Tag zum Flüchten“ erschienen und war ein großer Erfolg. Sie sind aber keine Vollzeitautoren. Was machen Sie jetzt?
Andreas Hepp: Ich bin Deutschlehrer an einer internationalen Schule in Linz. Momentan sind wir auf Landschulwoche und meine Kollegen vertreten mich netterweise für das Interview.
Elyas Jamalzadeh: Ich arbeite weiterhin im Frisörsalon Ulli in Eferding, wo ich meine Ausbildung gemacht habe. Gerade bin ich dabei, mich nebenbei selbstständig zu machen. Und ich weiß immer noch nicht, wie alt ich eigentlich genau bin (lacht).
Das ist vermutlich bei Behördengängen nicht hilfreich?
Na ja, als Selbstständiger kann ich dann jederzeit in Pension gehen (lacht wieder). Ach ja, am 18. Februar habe ich außerdem die österreichische Staatsbürgerschaft bekommen.
Herzlichen Glückwunsch.
Elyas: Danke, ich fühle mich jetzt als Österreicher. Zwar kann ich mich immer noch keinem Dialekt zuordnen und rede daher Hochdeutsch. Dafür bin ich schon am Hausbauen mit meiner Frau.
Sie sind 2015 aus dem Iran geflüchtet und auf beschwerlichem Weg nach Österreich gelangt. Ich staune, wie viel Sie seither erreicht haben – Sie auch?
Elyas: Durchaus. Ich habe mich aber immer sehr bemüht und jede Chance genützt. Ich glaube daher, das können auch andere schaffen, wenn man ihnen die Möglichkeit gibt. Leider kenne ich Leute, die haben seit acht Jahren kein Asyl, sitzen im Heim, haben dort nur ein Bett, das nicht mal ihnen gehört, kriegen 300 Euro Unterstützung und dürfen nicht arbeiten. Das ist unfair. Genauso unfair ist es, dass ich erst nach fünf Jahren harter Arbeit endlich Asyl bekommen habe, während andere nichts getan haben und viel früher Asyl bekommen haben. Das System funktioniert nicht. Mein großes Glück waren die Menschen, die mir begegnet sind. Ohne meine Freunde hätte ich nicht so viel geschafft. Ohne Andi wäre das Buch nicht möglich gewesen, und umgekehrt hätte Andi ohne meine Geschichte kein Buch geschrieben.
Ihre Freundschaft thematisieren Sie im Buch nicht. Wie ist diese besondere Autorenbeziehung denn entstanden?
Andi: Wir haben uns 2016 im Rahmen eines Gottesdiensts kennengelernt. Schon damals habe ich bewundert, wie zielstrebig und witzig Elyas war. Das sind wohl seine zwei stärksten Eigenschaften. Nach und nach hat sich zwischen uns eine Freundschaft entwickelt. Und weil er am Ende seiner Geschichten oft gescherzt hat, dass man eigentlich ein Buch darüber schreiben sollte, dachte ich irgendwann: „Warum nicht?“ Auch seine Schwiegermutter hat ihn dazu ermuntert. Sie meinte, das Reflektieren würde ihm guttun. Als ich ihn schließlich im August 2020 deswegen anrief, war er sofort dabei.
Die Jury der Aktion „Innsbruck liest“ lobte besonders das erzählerische Element des Buchs. Wie haben Sie beide diesen Stil festgelegt?
Elyas: Anfangs habe ich meiner Schwiegermutter viel erzählt, um meine Erlebnisse zu verarbeiten. Auch im Frisörladen wurde ich oft ausgefragt: Wie bist du nach Österreich gekommen? Warum kannst du so gut Deutsch? Da habe ich viel gutes Feedback bekommen. Als wir beide dann am Buch arbeiteten, bat ich Andi: Die Leute sollen beim Lesen das Gefühl haben, Elyas sitzt neben ihnen auf der Couch und erzählt. Uns war es auch wichtig, den Humor zu behalten. Denn die Bücher, die man über Krieg und Flucht lesen kann, sind sehr dramatisch und traurig geschrieben. Viele Leute sagten mir: „Ich habe dazu schon ein Buch angefangen – aber ich konnte es nicht fertig lesen.“ Genau das wollten wir vermeiden.
Andi: Das Literarische kam von mir. Aber wir haben alles gemeinsam entschieden und auch Tabea, die Frau von Elyas, war stark eingebunden. Sie hat sogar ein eigenes Kapitel geschrieben.
Hatte das Erzählen bei Ihnen in der Familie großen Stellenwert, Elyas?
Elyas: Nein, leider nicht. In unserer Kultur ist die Familie sehr weit oben angesiedelt, die Älteren entscheiden für die Jüngeren. Du kannst nicht offen sein, wenn es dir schlecht geht oder du etwas Blödes getan hast, weil du sonst bestraft wirst. Also sprichst du nur mit den besten Freunden darüber. Es ist kulturell bedingt, Respekt steht bei uns an erster Stelle.
Dass Sie sich so geöffnet haben, war also ein großer Vertrauensbeweis?
Elyas: Genau so ist es, ich konnte mich vertrauten Menschen öffnen. Ich habe immer versucht, nicht viele Freunde zu haben, dafür aber gute Freunde, mit denen ich alles teilen kann.
Mir sind im Buch auch die vielen Wiederholungen aufgefallen, oft über ganze Seiten. Was war der Gedanke dahinter?
Andi: Als wir das Buch geschrieben haben, war ich noch im Germanistikstudium – und ich hatte damals zwei wichtige Einflüsse: Einmal die Lesedidaktik, wo man lernt, das Lesen verständlich und spannend zu gestalten. Und dann habe ich natürlich viele Fluchtbiographien gelesen. Der Autor Saša Stanišić hat selbst einen Fluchthintergrund und schreibt besonders humorvoll. Er baut viele Spielereien mit dem Leser ein, verwendet Ironie und Umschreibungen. Stilistisch waren seine Werke sicher mein größtes Vorbild.
„Als Kind bin ich nie zur Schule gegangen und dachte, mein Leben sei nichts wert. Und nun hilft meine Geschichte, das öffentliche Bild von Geflüchteten zu verändern.“
Elyas Jamalzadeh
Ein Geflüchteter und ein Germanistikstudent – das ist keine Bestseller-Garantie. Wie sind Sie an Ihren Verlag gekommen?
Andi: Wir haben ins Blaue hinein gearbeitet und nicht erwartet, dass unser Buch im größeren Maßstab veröffentlicht wird. Wir dachten, wir würden mit einigen Exemplaren ins Self Publishing gehen. Aber ein Deutschlehrer von Elyas zeigte unsere Arbeit einer befreundeten Lektorin, die das Potenzial erkannte und uns zum Zsolnay-Verlag schickte. Als wir denen unser Manuskript zusandten, bekamen wir innerhalb von zwei Tagen schon Antwort: Ob wir uns auf Zoom treffen könnten? Da dachte ich: „Wow, aufwändig für eine Absage.“ Ich bin ja eher der Pessimist von uns beiden. Als uns die Lektorin im Gespräch fragte, ob wir auch in Deutschland auf Lesereise gehen würden, war klar: Hey, das Buch wird tatsächlich veröffentlicht. Das war ein Feiermoment.
Für einen Studenten ist das sicher toll. Aber für einen, der als Kind in den Straßen Teherans gearbeitet hat, muss es überwältigend gewesen sein.
Elyas: Meine Freude war riesig groß. Auf der anderen Seite konnte ich mir gar nichts vorstellen: Wie viel würde wohl gedruckt werden, wie viel verkauft? Durch den Krieg in der Ukraine – leider – war das Interesse schließlich riesig, sämtliche wichtigen Zeitungen sind zu uns gekommen. Das war für jemanden wie mich unfassbar. Ich bin als Kind nie zur Schule gegangen und dachte immer, mein Leben sei nichts wert. Und nun hilft meine Geschichte, das öffentliche Bild von Geflüchteten zu verändern. Wir haben es auf Lesungen oft erlebt, dass Geflüchtete aus dem Publikum zu uns kamen und sagten: „Ich habe das Gefühl, ihr sprecht über mich.“ Das ist eine Ehre für mich. Und jetzt, mit „Innsbruck Liest“, haben wir quasi im Lotto gewonnen.
Sie werden hier auch Auftritte haben. Gibt es bei den Lesungen manchmal unangenehme Situationen?
Andi: Ich weiß noch eine Situation in einer deutschen Stadt, die politisch sehr rechts steht. Dort gab es wöchentlich einen Aufmarsch der Alternative für Deutschland (AfD). Genau als wir unsere Lesung gestartet haben, ist die AfD-Lesung vor dem Haus losgegangen. Da ist uns Angst und Bange geworden. Aber sonst war das Feedback bisher wirklich sehr positiv. Wir freuen uns darauf, in Innsbruck zu lesen.
Elyas, für Sie müssen diese Auftritte emotional sehr fordernd sein, nicht?
Elyas: Bei der ersten Probelesung mit Freunden habe ich geweint. Aber mit der Zeit ist es besser geworden. Mir hilft der Gedanke: „Elyas, du sprichst nicht nur über dich, sondern über Millionen von Menschen auf der Flucht. Du musst jetzt stark sein.“
Hatten Sie je Sorge, dass Passagen im Buch gegen Sie verwendet werden könnten?
Elyas: Ich habe mich schon gefragt, was ich erzählen kann und was nicht. Andererseits wollte ich eines nicht: cool sein. Ehrlichkeit war mir wichtiger.
Andreas, hatten Sie manchmal das Gefühl, dass Sie Elyas vor sich selbst schützen müssen?
Andi: Der Grad der Verwundbarkeit ist eine wichtige Frage bei einer Biographie. Ich als Autor kann mich schön raushalten, Elyas als Protagonist kann das nicht. Wir haben oft noch vor dem Lektorat gemeinsam die Passagen besprochen, und manche Stellen doch anders beschrieben, weil sie falsch verstanden werden könnten.
Es gibt eine Szene im Buch, da sticht Elyas einem anderen Mann in der Kantine der Geflüchtetenunterkunft eine Gabel in den Rücken, weil dieser seine Mutter zuvor verbal attackiert hat. Gab es Bedenken, das einzubauen?
Elyas: Ich war zuerst der Einzige, der dafür war. Ich finde, die Leute müssen alle Seiten kennen, Geflüchtete sind Menschen mit guten und schlechten Eigenschaften. In Österreich wird man bei Problemen nicht gleich gewalttätig. Wo ich herkomme, ist das oft anders: Wenn jemand blöd schaut, kann eine Schlägerei entstehen. Ich habe als Kind viel Gewalt erlebt und mich als Jugendlicher geprügelt, mein ganzer Körper ist voller Narben. Ich bin sicher nicht stolz darauf. In den acht Jahren in Österreich bin ich aber ganz brav geworden. Iranische Freunde sagen mir: Elyas, ich kenne dich nicht mehr.
Andi: Was ich an dieser Stelle im Buch am meisten schätze, ist die unverblümte Ehrlichkeit. Wir wollten nichts schönfärben. Man versteht so sicherlich die persische Ehrkultur besser, die für viel Gutes steht, aber eben auch negative Seiten hat. Wenn man die kennt, kann man auch Geflüchtete aus diesem Kulturkreis besser verstehen.
(Andreas Hepp verabschiedet sich jetzt, um zu seiner Schulklasse zurückzukehren).
Iran und Afghanistan sind immer wieder in den Schlagzeilen, weil dort schreckliche Zustände herrschen. Wie sehr berührt Sie das, Elyas?
Seit der Machtübernahme der Taliban ruft meine ältere Schwester oft an. Sie hat eine junge Tochter daheim und große Angst um sie. Denn in der Moschee wurde schon verkündet, dass alle Frauen ab 14 Jahren einen Soldaten heiraten sollen. Wenn die wollen, können sie jederzeit ins Haus kommen und sie mitnehmen. Das macht mich rasend. Glauben Sie mir, ich habe jeden Tag Albträume, über die verschiedensten Dinge. Ich versuche, mich nicht ständig damit zu beschäftigen. Aber die Träume lassen mich noch nicht in Ruhe.
Reden wir lieber über etwas Schönes: Haben Sie in Österreich neue Leidenschaften gefunden?
Ich habe einfache Hobbys, vielleicht, weil ich gerade so viel ans Arbeiten und an meine Zukunft denke. Ich gehe sehr gerne spazieren und liebe kurze Ausflüge. Außerdem gehe ich wahnsinnig gerne Essen. Als Kinder in Iran hätten wir uns nach einem ganzen Tag Arbeit im reichen Viertel nicht einmal einen Kebab leisten können. Dass ich jetzt ins Restaurant gehen kann und dort ein Glas Wein trinken, ist für mich etwas Großartiges.
Sie schätzen die kleinen Dinge?
Oh ja. Ich habe ja in Österreich zum ersten Mal eine richtige Schule besucht. Die Einstellung der Jugendlichen dort hat mich zum Teil schockiert. Die saßen im Paradies und merkten es nicht mal. Wenn ich heute in Schulen lese, sage ich den Kindern immer: „Es kann auch anders sein, es kann auch anders werden“ – wie man jetzt an der Ukraine sieht. Man muss den Moment genießen und dankbar sein für alles. Wenn man das erlebt hat, was ich erlebt habe, weiß man das.
Freitag ist ein guter Tag zum Flüchten – Elyas Jamalzadeh und Andreas Hepp, Zsolnay, 2022
„Stell dir mal vor, du bist dein Leben lang nervös, merkst alles, bist ständig auf der Hut. Ich wurde schon nervös geboren. Ich war illegal. Jedes Jahr, jeden Tag, jede Minute konnte es passieren.“ Elyas Jamalzadeh ist das Kind afghanischer Kriegsflüchtlinge in Teheran und hat dort keine Rechte. Arbeit auf der Straße und die ständige Angst vor Abschiebung prägen sein junges Leben. Als sich die Situation für die Familie zuspitzt und Elyas knapp einem Horrorgefängnis entkommt, entschließen sich der jugendliche Sohn und seine Eltern zur Flucht. Nun geht das „game“ erst los – und die Familie verliert nicht nur ihre bescheidenen Ersparnisse an Schlepper, sondern mehrmals fast ihr Leben. Das todernste Abenteuer der Balkanroute und das Ankommen in Österreich erzählt dieses Buch auf so lustige und berührende Weise, dass ein Weglegen unmöglich ist.
Elyas Jamalzadeh und Andreas Hepp. (c) Peach Productions/Mira Rumpel