Spurenleser im Kunstdschungel

Medienkünstler Roland Maurmair ist auch ausgebildeter Natur- und Wildnistrainer. In seinen Arbeiten untersucht er mit subversivem Humor das ambivalente Verhältnis zwischen Mensch und Natur.

von Ivona Jelčić
„Bis übern Hals“. (c) Roland Maurmair

Roland Maurmair kommt mit einem druckfrischen Chamäleon unterm Arm zum vereinbarten Treffpunkt am Wiltener Platzl. In Innsbruck lebt er zwar schon seit Jahren nicht mehr, die Druck- und Grafikwerkstatt Cunst & Co., ein Urgestein der hiesigen Subkulturszene, ist aber bis heute eine wichtige Anlaufstelle für den Künstler geblieben: „Ich kann dort Dinge ausprobieren, experimentieren, für mich ist das wie Meditation.“ Zum daraus entsprungenen Chamäleon gibt es auch ein dreidimensionales Gegenstück: „ChameleON“ nennt sich Maurmairs jüngste Medienskulptur, die mit 2000 LEDs, Kameraaugen und einer transluzenten Haut ausgestattet ist und ihre Umgebung – respektive die Betrachterinnen und Betrachter – in Echtzeit reflektiert. Das für seine Anpassungsfähigkeit berühmte Reptil wird so zum Spiegel einer Gesellschaft umgedeutet, in der mediale Selbstinszenierung und die Jagd nach Likes allgegenwärtig sind.

Wenn Maurmair Technik und Natur miteinander verquickt, erwachsen daraus nicht selten subversive Kommentare und seltsame Kreaturen. Man trifft in seinem vielseitigen Werk auf ganze Armadas von technoid blinkenden Insekten, auf Holzkäfer, in deren Fraßspuren er elektrische Schaltkreise implantiert, auf schräge Vögel, die als Inkarnation verbrannter Bücher an dunkle Kapitel aus der Geschichte erinnern, oder auf ein überdimensionales Vogelnest, das als „Singlehit/Garçonnière“ auf den Betongold-Boom und die daraus resultierende Wohnungsnot anspielt. Zuweilen tritt der Künstler auch als Performer auf, wirft sich in einen Designer-Anzug, um mit Chanel-Gießkanne seinen „Bio Deluxe“-Gemüsegarten zu bewässern, und zielt damit treffsicher auf die Absurditäten und Abgründe der Konsumwelt.

Überhaupt ist das ambivalente Verhältnis zwischen Mensch und Natur ein zentraler Gegenstand von Maurmairs künstlerischen Untersuchungen. Getrieben von Forschergeist und der Lust am Experiment, nimmt er gern das in den Blick, was wir im Alltag häufig übersehen, schält poetische Erzählungen aus unscheinbaren Details oder begegnet ihnen mit subversivem Humor. Die Umwelt bewusst wahrzunehmen, werde nie langweilig, sagt der gebürtige Innsbrucker, Jahrgang 1975, der visuelle Mediengestaltung bei Peter Weibel an der Angewandten studiert und dort am Institut für Kunst- und Wissenstransfer promoviert hat. „Du stehst irgendwo, wartest auf den Bus und kannst immer Spuren lesen“, meint er. Und Maurmair sagt das nicht nur so, er hat es auch tatsächlich gelernt: „Nach meiner Dissertation habe ich so die Schnauze voll gehabt von der Theorie, dass ich mir gedacht habe, ich muss in die Natur.“ Er ließ sich zum Natur- und Wildnistrainer ausbilden, kehrte als Lehrbeauftragter für „Urbane Wildnis“ an die Angewandte zurück und ließ die Studierenden im Großstadtdschungel, auf Straßen, Plätzen oder auch in der Lugner City Spuren lesen. Ein Kaugummi, der auf dem Asphalt klebt, habe schließlich einiges zu erzählen – oder werfe zumindest Fragen auf: „Wer hat den da hingespuckt? Männlich, weiblich, divers? Wo ist die Person jetzt? Was hat sie sich dabei gedacht?“

Was der Künstler sieht, weiß nur er selbst. (c) LTU

„Nach meiner Dissertation habe ich so die Schnauze voll gehabt von der Theorie, dass ich mir gedacht habe, ich muss in die Natur.“

Man kann mit Maurmair lange über Survival-Techniken plaudern und darüber, dass es „im Prinzip um Naturverbindung und um die Erhöhung der Aufmerksamkeit“ geht. Man kann ihn aber auch auf die Alm begleiten, wo er selbst viele Sommer als Hirte verbracht hat und wo jene zum Teil noch auf Super 8 gedrehten Filmaufnahmen entstanden sind, aus denen zuletzt der Dokumentarfilm „The Real Cowboys“ entstanden ist: In epischen Bildern, aber jenseits verklärter Alpenromantik wird da vom echten Leben der Tiroler Almhirten erzählt, deren Hauptjob es sei, „den ganzen Tag herumzurennen“, wie der Künstler lakonisch feststellt.

In Innsbruck hat Maurmair Ende der Neunzigerjahre das DJ-Kollektiv „Saegewerk Soundsystem“ mitbegründet, später leitete er für einige Jahre den Verein Medien.Kunst.Tirol, ging nach Wien und lebt heute mit seiner Familie in Frankenmarkt in Oberösterreich. Dort wartet er jedes Jahr aufs Neue, bis die Frühlingsknotenblumen blühen, in der Hoffnung, dass es ihm diesmal gelingt, in eine der zarten Blüten ein LED-Licht einzubauen. Solche Grenzgänge und Gratwanderungen zwischen Technik und Natur sind typisch für Maurmair, der sich selbst als Medien- und Primitivtechnologe definiert und seine künstlerischen Forschungsfelder zum Teil über Jahre hinweg beackert. Das gilt auch für die intensive Auseinandersetzung mit der Vogelwelt, die vom Wappenvogel bis zum Zugvogel jede Menge Stoff für philosophische Betrachtungen bereithält, zugleich aber auch ein ewiges Rätsel bleibt. Man nehme bloß das Rotkehlchen, sagt Maurmair, das mit seinem „Flaum-Pyjama auch eisige Temperaturen aushält“, während wir unter zig Kleidungsschichten erbärmlich frieren würden. Maurmairs „Radical Bird Research“ hat unterschiedliche Arbeiten, darunter Grafiken, Performances, Installationen und Objekte, hervorgebracht, zum Beispiel auch „Airfield“, eine Futterstelle für Singvögel, die einem Flughafen mit Tower und zwei Landebahnen nachempfunden ist – inklusive Solarleuchte für die abendliche Fütterung. In „Rising from the Ashes“ ließ er wiederum verbrannte und verbotene Bücher wie Phönixe aus der Asche auferstehen und davonflattern, während sein mechanischer „Woodpecker“, also Specht, auf Wunsch Botschaften in Baumrinden ritzt. Was zweifellos umständlicher ist, als ein Messer zur Hand zu nehmen, doch genau darin liegt auch der hintergründige Witz so mancher Maurmair’scher Unternehmung, die erst über Umwege zu unerwarteten Erkenntnissen gelangt.

Das Chamäleon fungiert fast wie eine Metapher für Maurmairs künstlerisches Dasein. (c) Roland Maurmair

Er betrachte Kunst als eine Disziplin, die „irgendwo zwischen Wissenschaft und Religion angesiedelt ist“, sagt der Künstler selbst. Da wie dort könne man sich Anleihen nehmen, wobei das Forschen und Experimentieren bei ihm zweifellos ein wichtiger Faktor ist. Und nicht selten auch das Intervenieren im öffentlichen Raum: guerilla-artig, wie bei manchen temporären Versuchsanordnungen in der Natur, oder auch geladen wie zuletzt etwa beim Skulpturenpark Gmunden 2023, in dessen Rahmen Maurmair die Porträts zweier Mädchen „bis übern Hals“ versinken ließ.

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