Ausstellung: Wie Straßenzeitungen Leben verändern

Wussten Sie, dass es nicht nur in Tirol Straßenzeitungen gibt, sondern weltweit? Nein? Dann kommen Sie zur Ausstellung „Wie Straßenzeitungen Leben verändern“, die der 20er gemeinsam mit dem Journalismusfest Innsbruck zeigt und die ihren Ursprung in der Schweiz hatte.

von Eva Schwienbacher
Sara, die Schweiz verbindet man mit Reichtum und Wohlstand. Trotzdem gibt es eine Straßenzeitung. Warum braucht es sie?

Sara Winter Sayilir: Auch in der Schweiz gibt es eine Schere zwischen Arm und Reich. Wenn man aus Deutschland oder aus Österreich in die Schweiz einreist, hat man den Eindruck, dass alles sehr aufgeräumt und sauber ist. Man sieht beispielsweise keine offene Obdachlosigkeit. Es gibt sehr viel Geld in diesem kleinen Land. Aber es gibt auch einen Teil der Bevölkerung, der armutsbetroffen ist, der sich sehr stark aus dem öffentlichen Raum zurückzieht und auch dazu angehalten wird, weil Armut hierzulande – vielleicht noch stärker als an anderen Orten – mit Scham verbunden ist.

Wer sind die Menschen, die das Strassenmagazin Surprise verkaufen?

Bei uns arbeiten besonders mutige Menschen in verschiedenen Lebenssituationen und aus unterschiedlichen Gründen. Es sind rund 500 Verkaufende. Viele sind geflüchtet oder haben Einschränkungen, die ihnen den Zugang zum regulären Arbeitsmarkt erschweren oder unmöglich machen. Für sie ist der Zeitungsverkauf eine Möglichkeit, sich etwas dazuzuverdienen – oft zusätzlich zur Sozialhilfe oder Invalidenversicherung, innerhalb der zulässigen Freibeträge. Unsere Verkaufenden sind angestellt, ihr Einkommen ist transparent. Ein anderer Teil finanziert sich komplett über den Verkauf von Surprise, ohne staatliche Leistungen. Das sind oft fitte Personen, die aus verschiedenen Gründen keinen anderen Job haben – sei es aufgrund fehlender Qualifikationen, wegrationalisierter Berufe oder weil sie lieber selbstbestimmt arbeiten. Andere wiederum sind älter, wurden aus dem System gedrängt und verzichten bewusst auf staatliche Hilfe, um unabhängig zu bleiben – selbst wenn das bedeutet, mit weniger auszukommen

Sara Winter Sayilir ist Co-Leiterin Redaktion beim Schweizer Strassenmagazin Surprise und hat die Ausstellung „Wie Straßenzeitungen Leben verändern“ mitkonzipiert.

Foto: Ruben Hollinger

Ihr habt im letzten Jahr die Ausstellung „Wie Straßenzeitungen Leben verändern“ in Bern gezeigt. Wie verändern Straßenzeitungen Leben?

Da fällt mir eine Geschichte eines Verkaufenden ein, der von sogenannter Fremdplatzierung betroffen war. Die Schweiz hat früher armutsbetroffene Familien teilweise getrennt in der Vorstellung, dass man Kinder vor Eltern schützen müsste, die ein nicht erstrebenswertes Leben führten. Eine schreckliche Geschichte, die erst nach und nach aufgearbeitet wird. Die Betroffenen sind jetzt im Rentenalter. Der Verkaufende war einer davon. Er lebte lange in einem Kinderheim, wo er viel Unangenehmes und wenig Liebe erlebt hat. Als Erwachsener ist er gut durchgekommen, hatte aber nie den Umgang mit Geld gelernt. Er arbeitete als Buschauffeur. Eines Tages baute er aufgrund eines Sekundenschlafs einen leichten Unfall und verlor seine Lizenz. Er wusste nicht mehr weiter. Um Hilfe zu fragen, hat er nie gelernt. Der Mut und das Selbstvertrauen hatten ihn verlassen. Dann traf er auf Sozialarbeitende von Surprise, die ihn motivierten, die Straßenzeitung zu verkaufen. Zunächst traute er sich nicht, aber heute ist er einer der wichtigsten Botschafter unserer Organisation und er war auch einer unserer ersten Stadtführer. Er sagt, wenn Surprise nicht gewesen wäre, wäre er vielleicht heute nicht mehr hier.

Das ist eine sehr berührende Geschichte, die zeigt, wie groß der Impact von Straßenzeitungen sein kann. Kannst du erzählen, wie aus solchen Geschichten eine Ausstellung entsteht?

Die Kuratorin des Kornhausforums, eines Ausstellungsraums in der Schweizer Hauptstadt Bern, ist mit der Idee auf uns zugekommen, zusammen etwas zu machen, weil sie das Projekt unterstützenswert und spannend fand. Das Kornhausforum ist an einer sehr prägnanten Stelle der Stadt und niederschwellig. Man kann ohne Eintritt reinspazieren. Das passte zu uns, weil auch wir gerne Orte bewerben, wo Menschen, die wenig Geld haben, mit Kultur in Kontakt kommen. So ist die Idee entstanden, die weltweite Bewegung der Straßenzeitungen auszustellen, die es seit rund 30 Jahren gibt. Sie zeigt Cover aus der ganzen Welt und damit die Themen, mit denen sich Straßenzeitungen rund um den Globus beschäftigen, und Porträts der Verkaufenden. Es ist spannend, dass es an vielen Orten der Welt ähnliche Impulse gab und offensichtlich ein System ist, das bisher erfolgreich überdauert hat.

Eine Frage, die ihr euch gestellt habt, war, wie man Menschen würdevoll zeigt.

Wir erinnern uns noch an die schreckliche Praxis, Menschen in sogenannten Menschenzoos auszustellen. Das darf sich nicht wiederholen in diesem Klassengegensatz. Wir, die einen existenzsichernden Job haben, schauen auf die, die unter Umständen keinen existenzsichernden Job haben oder die armutsbetroffen sind. Deswegen reden wir ja in unserer Bewegung der Straßenzeitungen auch oft von dieser ominösen Augenhöhe. Was ja in der Realität eigentlich ein Wunschdenken ist, weil Hierarchie und Machtunterschiede immer bleiben. Die Kuratorin hat das gelöst, indem sie für die Porträtfotos der Verkaufenden Stelen benutzt hat in der Höhe eines durchschnittlichen Ausstellungsbesuchers. So konnten Besucher den Straßenverkäuferinnen wortwörtlich auf Augenhöhe begegnen.

Die Schau wurde schon in Liverpool gezeigt, ist nun im Rahmen des Journalismusfests Innsbruck zu sehen und später auch in Wien. Ihr stellt sie dem ganzen Netzwerk zur Verfügung.

Die Solidarität unter den Straßenzeitungen ist ein Grundgedanke des internationalen Netzwerks der Straßenzeitungen. Die größeren Organisationen helfen den kleineren und letztlich so den Menschen, die die Straßenzeitungen verkaufen.

Vielen Dank für das Gespräch.


Ausstellung beim Journalismusfest: Wie Straßenzeitungen Leben verändern

Wie Straßenzeitungen Leben verändern feiert die Idee der Straßenzeitungen, die seit den 1990er-Jahren für Menschen, die von Armut, Obdachlosigkeit oder anderen Formen der Marginalisierung betroffen sind, eine Einnahmequelle sind. Wer sind die Menschen, die weltweit Straßenzeitungen verkaufen? Wie schauen die Zeitungen in Korea, Australien oder der Schweiz aus? Die Ausstellung wurde von der Kuratorin Rebecka Domig und Sara Winter Sayilir vom Schweizer Strassenmagazin Surprise konzeptioniert und war erstmals 2024 im Kornhausforum Bern zu sehen. Dank des engen Austauschs und der großen Solidarität unter den Straßenzeitungen weltweit und speziell im DACH-Raum und des Journalismusfests Innsbruck kann die Ausstellung nun, inhaltlich adaptiert, auch in Tirol gezeigt werden.

16. bis 24. Mai
Theologie, Gang 1. Stock,
Karl-Rahner-Platz 1, Innsbruck

Eröffnung mit Führung
Fr., 16. Mai, 16 Uhr

Weitere Führungen
Sa., 17. Mai, 13.00–14.00 Uhr,
So., 18. Mai, 11.00–12.00 Uhr

Weitere Führungen
Sa., 17. Mai, 13.00–14.00 Uhr,
So., 18. Mai, 11.00–12.00 Uhr

Eintritt frei.

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