„So wichtig wie nie zuvor“

Anne Fromm leitet das Ressort Recherche und Reportage der taz. Im Interview erklärt sie, was investigative Recherchen ausmachen und wie die Sicherheitsvorkehrungen für ihr Team aussehen.

von Eva Schwienbacher
Anne Fromm arbeitet seit 2014 bei der taz, seit 2023 leitet sie das Ressort Reportage und Recherche. (c) Anja Weber
Was unterscheidet investigative von klassischer Recherche?

Anne Fromm: Das Handwerk ist in beiden Fällen gleich. Jeder, der recherchiert, muss mit Leuten sprechen, Dokumente sichten und so weiter. Was investigatives Arbeiten ausmacht, ist, dass man zum Beispiel viel mit vertraulichen oder geheimen Quellen arbeitet, also mit Leuten, die man nicht offenlegen kann – weder in der Recherche noch im Beitrag. Man ist angewiesen auf Leute – sogenannte Whistleblower –, die einem Informationen geben. Das Prinzip Quellenschutz spielt eine große Rolle, mehr als in der klassischen Recherche. Außerdem ist investigative Recherche bemüht, Dinge aufzudecken, die sonst nicht ans Licht kommen, das heißt, wir arbeiten viel mit Dokumenten oder Daten, die wir eigentlich nicht haben sollen und die auch nicht öffentlich zugänglich sind. Im Idealfall kann investigative Recherche Prozesse anstoßen und Veränderung bewirken.

Wie kommen Sie zu Themen und Geschichten?

Dafür gibt es zwei Ansätze: Entweder eine Quelle kommt zu uns, sprich eine Person wendet sich an uns mit einer interessanten Information, und man beginnt da weiterzurecherchieren. Oder man nimmt sich eine Geschichte vor und versucht, Quellen zu finden. Je nach Thema kann das anspruchsvoller sein, weil man nicht genau weiß, wo man hinwill und wohin einen die Geschichte führt. Es kann aber auch sein, dass der Erkenntnisgewinn dabei viel größer ist. Das Thema MeToo begann auf dem ersten Weg mit der Geschichte um Harvey Weinstein. Danach gab es aber im Journalismus – nicht nur in den USA, auch in Deutschland – dieses Bemühen, weitere MeToo-Fälle auch in anderen Branchen zu finden.

Wie entscheiden Sie, ob Sie einer Geschichte nachgehen, und spielen da auch persönliche Interessen eine Rolle?

Also persönliche Interessen insofern, als dass wir bestimmte Schwerpunkte haben, weil wir schon zu einem Thema recherchiert haben und dazu gute Quellen kennen. Anders als beispielsweise in der Politikredaktion, wo es etwa einen SPD-Redakteur gibt, sind wir aber keine Fachredakteure. Wir wägen ab, was die gesellschaftliche oder politische Dimension einer Geschichte ist und ob dahinter ein strukturelles Problem liegt. Bei uns landen viele Einzelgeschichten. Die sind tragisch, aber wir interessieren uns für das Strukturelle. Mit dem Krieg in der Ukraine ist zum Beispiel alles, was im Bereich Rüstung, Waffen oder russische Desinformation liegt, viel interessanter, als es das noch vor dem Ukraine-Krieg war.

Apropos Desinformation: Wie wichtig ist investigativer Journalismus mit der Zunahme von Fake News?

Wahnsinnig wichtig, vielleicht sogar so wichtig wie nie zuvor. Und trotzdem haben natürlich auch wir das Problem, dass wir Leute, die sich von den klassischen Medien verabschiedet haben und ihnen nicht mehr vertrauen, auch nicht mit einer tollen investigativen Recherche erreichen. Wer Medien misstraut, unterscheidet nicht zwischen Meldung oder monatelanger Recherche. Leute, die wiederum schon immer medienaffin waren und auch eine große Medienkompetenz haben, schätzen investigative Recherche. Mehr als alle anderen journalistischen Produkte wird sie nicht nur an den Zahlen gemessen, sondern an der Wirkung.

„Wer Medien misstraut, unterscheidet nicht zwischen Meldung oder monatelanger Recherche.“

Langzeitrecherchen sind sehr zeitintensiv. Wie steht es um die Ressourcen bei der taz?

Die taz ist die einzige überregionale Tageszeitung in Deutschland, die eine Genossenschaft ist. Das heißt, wir haben keine reiche Verlegerfamilie im Hintergrund. Die Ressourcen sind begrenzter im Vergleich mit großen Medienhäusern. Wir verdienen weniger, wir haben weniger Budget. Trotzdem würde ich sagen, dass mein Team mit sieben Leuten – ein Teil davon macht Reportagen – schon verhältnismäßig sehr, sehr gut aufgestellt ist.

Glauben Sie, dass auch für kleine Lokalmedien investigative Recherche möglich ist?

Meiner Erfahrung nach ist es schwierig, weil diese noch viel mehr unter Druck stehen als die überregionalen Medien. Sie müssen jeden Tag ihre Zeitung füllen. Meine Kollegen im Lokaljournalismus spiegeln mir, dass sie für sowas im Arbeitsalltag keine Zeit haben. Das ist tragisch, weil gerade im lokalen Bereich sehr viel passiert, das aufgedeckt gehört. Aber Anzeigenrückgang, Vertriebsprobleme und so weiter machen Langzeitrecherchen für kleine Redaktionen leider unleistbar.

Zu Ihren Schwerpunktthemen zählen Rechtsextremismus und Machtmissbrauch. Themen, wo Recherchen auch gefährlich sein können. Wie schützen Sie sich und Ihr Team, wenn Sie etwa in der rechten Szene recherchieren?

Wir halten uns an bestimmte Kommunikationsstandards im Ressort: Wir kommunizieren nur verschlüsselt – sowohl untereinander als auch mit Quellen. Wenn sich Informanten unverschlüsselt an uns wenden, versuchen wir sie zu überzeugen, beispielsweise auf Signal zu wechseln. Außerdem ist die Meldeadresse jener Kollegen, die in solchen Bereichen recherchieren, gesperrt. Wir können also nicht so einfach gefunden werden, auch nicht von Behörden. Wir sind sehr darauf bedacht, keine persönlichen Sachen im Internet zu teilen; nichts, was darauf hinweist, wo wir wohnen, wie wir leben und so. Wenn es doch zu Bedrohungen kommt, haben wir ein Justiziariat, mit dem wir auch Anzeigen erstatten können. Wenn Kollegen außerhalb der taz recherchieren, etwa zu Nazitreffen gehen oder bei Rechtsextremisten an der Tür klingeln, dann haben wir ein ausgeklügeltes Backup-System von Leuten in der Redaktion, die immer wissen, wo die Person ist und wann sie sich wieder melden müsste.

Finden Sie Ihren Job nicht manchmal gefährlich?

Es gibt Bereiche, die können gefährlich werden, aber es ist natürlich nichts im Vergleich zu Journalisten, die in Autokratien arbeiten. Ich mache keine Kriegsberichterstattung. Vergleichsweise zu dem, was Journalisten woanders leisten, auch Lokaljournalisten, die permanent von rechten Demos berichten, habe ich doch einen relativ sicheren Job. Es gibt schon unangenehme Situationen, aber das ist nichts, was mich dauerhaft umtreibt.

Wann ist für Sie eine Geschichte gelungen? Nennen Sie bitte ein Beispiel.

Die Geschichte mit der größten Breitenwirkung, an der ich mitgearbeitet habe, erschien vor zwei Jahren zum Thema Rassismus und Rechtsextremismus im deutschen Rettungsdienst. Er gilt ja immer als Aushängeschild. Wir haben uns angeschaut, welche Rolle rechtsextreme Einstellungen spielen, und einige zum Teil ziemlich gravierende Fälle gefunden: Beispielsweise wurden Patienten mit Migrationshintergrund nicht ordentlich behandelt. Wenn man in einer hilflosen Situation ist und man den Rettungsdienst ruft, dann möchte man sich doch darauf verlassen, dass man unabhängig von Hautfarbe und Geschlecht gut behandelt wird. Das war eine sehr langwierige Recherche, weil es nicht so leicht war, Leute zu finden, die uns konkrete Fälle schildern konnten. Schließlich haben wir aber wahnsinnig viel Echo bekommen. Leute mit ähnlichen Geschichten haben sich bei uns gemeldet, andere sich bedankt, dass wir das aufgeschrieben haben. Die Organisationen – die Johanniter und Malteser –, über die wir geschrieben haben, haben Mitarbeiter entlassen, die offenbar seit Jahren ein gefestigtes rechtsextremes Weltbild hatten, wo bisher nichts passiert war. Sie haben ihre Betriebsstruktur umgebaut und Fortbildungen eingeführt, ein neues Leitbild geschrieben – da ist sehr viel passiert.

Vielen Dank für das Gespräch.

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