Regenbogen im Gepäck

Österreich ist im Ranking der queer-freundlichen Staaten weit abgeschlagen. Und in Tiroler Tälern herrscht noch immer eine heteronormative Ordnung. Doch gerade der Tourismus dort könnte helfen, diese aufzubrechen.

von Melanie Falkensteiner
LGBTQ-Reisende in Tirol Gäste, die nicht der Hetero-Norm entsprechen, spricht man in Tirol bisher nur zögerlich an. (c) zoff-photo

Vanessa ist 22 Jahre alt und in einem kleinen Dorf im Ötztal aufgewachsen. Sie stellte vor zwei Jahren fest, dass sie bisexuell ist, sich also sowohl zu Frauen als auch zu Männern hingezogen fühlt, und ist seit Längerem mit ihrer Freundin zusammen. Obwohl sie erst mit zwanzig Jahren gemerkt hat, dass sie zur LGBTQIA+*-Community gehört, fiel ihr schon früh der verstockte Umgang damit auf. 

„Entweder, das Thema ist gar nicht aufgekommen oder nur im negativen Sinne. Das Wort ‚schwul‘ war ein Alltagswort für alles Schlechte“, erzählt sie. „Und es hat zwar jeder jemanden gekannt, der jemanden kennt, der schwul oder lesbisch ist, aber ich habe von der Szene überhaupt nichts mitbekommen.“ Ihre Heimat, das Ötztal, sei ein religiös gesinntes Tal und daher nicht sehr offen der LGBTQIA+-Community gegenüber.„Als Kind hat man mir vermittelt, dass Homosexualität nicht normal sei und mit dem Glauben nicht zusammenpasse.“ Für die angehende Religionslehrerin ist der Glaube natürlich ein großes Thema. Als sie in den sozialen Medien ein Video postet, in dem sie ein anderes Mädchen küsst, konfrontiert eine Nachbarin ihre Mutter, nennt das Video „ekelhaft“ und „abnormal“.  Im Dorf werde das Thema Homosexualität generell eher totgeschwiegen, sagt Vanessa.

Einen schwierigen Umgang mit allem, was vom heteronormativen Ideal abweicht, hat aber nicht allein das Ötztal: Im Mai veröffentlichte die ILGA, die International Lesbian Gay Bisexual Trans Intersexual Association, den jährlichen „Rainbow Europe“-Indexbericht, der europäische Länder anhand ihrer LGBTQIA+-Freundlichkeit bewertet. Malta, Belgien und Dänemark führen die Liste an, Österreich landet weit abgeschlagen auf Platz 19 zwischen Kroatien und der Schweiz. Auch die homosexuellen Blogger „The Globetrotter Guys“ nennen etwa Barcelona, Madrid, Manchester, Berlin, Stockholm und die Insel Mykonos als ihre liebsten schwulenfreundlichen Reisedestinationen – aber keine österreichische Stadt. Was könnten wir besser machen? Und wie offen ist das Tourismusland Tirol eigentlich für zahlende Gäste aus der LGBTQIA+-Community?

„Es würde sicher helfen, wenn man in den touristischen Werbespots nicht immer nur das traditionelle Familienbild mit Mann und Frau sähe.“

Pascal Bütler, Reiseleiter

Zumindest Sölden hat das Potenzial von eigens zugeschnittenen Angeboten für das queere Publikum inzwischen erkannt. Dort fand in diesem Jahr erstmals die Winter Pride statt. Zwar gab es in den Jahren vor der Pandemie schon ein ähnliches Event, ein „Gay Happening“, aber das neue Konzept soll nun auch den Anteil an Frauen und Transpersonen erhöhen. Doch wie genau sieht diese Winter Pride aus? Organisator Alfred Holzknecht berichtet: „Die Community kommt bei gemeinsamen Aktivitäten wie Skifahren oder bei Hüttenabenden zusammen. Es gibt auch eine Pride Parade auf der Piste; die Teilnehmer und Teilnehmerinnen haben ihre Flaggen dabei und wir fahren gemeinsam über eine Piste, die für alle geeignet ist.“ Für Unterhaltung sorgten bei der diesjährigen Winter Pride die Drag Queens Miss LaThoya und Sindy Sinful, die auch auf der Piste unterwegs waren. „Es war uns wichtig, lokale Künstlerinnen zu engagieren“, erklärt Holzknecht.

Dass ein solches Angebot internationale Gäste anlocken kann, hat die Winter Pride bewiesen: Die Teilnehmenden reisten unter anderem eigens aus Norwegen, Israel, Großbritannien und sogar den USA an. Aber wie kam das bei den Ötztaler und Ötztalerinnen an? „Kritik gibt es immer“, sagt Holzknecht. „Diese Kritik beschränkt sich auch nicht nur auf ländliche Gegenden, wie man vielleicht annehmen würde. Wenn man nach München schaut, wo gerade wegen einer Lesung mit einer Drag Queen eine Debatte entfacht ist, dann sieht man, dass die politische Entwicklung leider überall einen Nährboden für Homophobie schafft.“

Dennoch, die Resonanz war überwiegend positiv, nicht nur international. Aus dem Dorf kam ebenfalls viel Lob. Schließlich gibt es auch im Ötztal eine LGBTQIA+-Community, wenn auch nicht alle geoutet sind. „Wir setzen ein wichtiges Zeichen“, so Holzknecht. Eine besonders große Rolle spielt dabei die Kommunikation – Vorurteile entstehen bekanntermaßen häufig durch Unwissenheit. Dass die Winter Pride einige lokale Partner gewinnen konnte, sendet für den Organisator ein weiteres wichtiges Signal: „Es zeigt, dass die Unternehmen nicht nur im Juni an die LGBTQIA+-Community denken, sondern sie wirklich unterstützen.“ Gerade im Juni, wenn mit dem Christopher Street Day (CSD) weltweit der Freiheitskampf der Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgender-Personen und Intersexuellen gefeiert wird, ist nämlich zunehmend auch sogenanntes „Rainbow Washing“ zu beobachten: Unternehmen färben ihre Logos in Regenbogenfarben und verkaufen passende Produkte, nachhaltige Verbesserungen für die Community entstehen dadurch nicht.

Dass ein touristisches Angebot wie die Winter Pride jedoch mithelfen kann, Akzeptanz in der Gesellschaft zu fördern, das findet Pascal Bütler, Geschäftsführer von Pink Alpine, einer Schweizer Reiseagentur für schwule Männer. „Es macht auf unsere Community aufmerksam“, sagt er. Die Repräsentation der LGBTQIA+-Community in der Tourismuswerbung könnte ebenso dazu beitragen. „Es würde sicher helfen, wenn man in den Werbespots nicht immer nur das traditionelle Familienbild mit Mann und Frau sähe“, so Bütler. Dazu meint die Tirol Werbung: „Für uns stehen bei der Ansprache unserer Zielgruppen – erholungsuchende Familien, verbundene Energiebündel, anspruchsvolle Reisefans – die jeweiligen Urlaubsinteressen im Vordergrund.“ Man fokussiere bei der Auswahl von Werbesujets darauf, wie diese zu den kommunizierten Inhalten passen. Wobei etwa die beiden Winterwanderer aus der vergangenen Kampagne vielfach als homosexuelles Paar wahrgenommen worden seien. „Derartige Interpretationen überlassen wir allerdings dem Publikum“, sagt der Sprecher und verweist auf Angebote wie die Winter Pride, welche die Community direkt ansprechen würden.

Pink Alpine organisiert Reisen in die verschiedensten Länder – Städtetrips, Kulturreisen und eben auch alpine Sportreisen. Wie LGBTQIA+-freundlich ein Reiseziel wirklich ist, lasse sich oft schwer sagen. „Wenn wir ein Reiseziel für unsere Gruppen auswählen, steht Sicherheit natürlich an erster Stelle. Wir würden nie ein Land besuchen, wo die Todesstrafe droht. Bei manchen Ländern ist es jedoch eine Gratwanderung.“ Marokko etwa ist prinzipiell kein Land, dass der LGBTQIA+-Community gegenüber sehr offen ist. Trotzdem organisiert Pink Alpine Reisen dorthin, gemeinsam mit einem lokalen Guide, der mit den Gegebenheiten vertraut ist. „Es kann auch eine Chance sein“, so Bütler. „Man kann so mit einer Gruppe an Orte reisen, die man alleine vielleicht nicht besuchen würde. Informieren sollte man sich sowieso immer, wenn man eine Reise antritt.“

Vielerorts mangelt es noch an Toleranz gegenüber der LGBTQ-Community. (c) Anna Shvets

In Vanessas Fall war jedoch nicht die Kultur im Gastland das Problem, sondern die mitgebrachten Vorurteile von Touristen aus Tirol: Als sie mit ihrer Freundin am Gardasee Urlaub machte und zufällig eine Gruppe Männer aus dem Heimatdorf ihrer Freundin traf, wurden die beiden sofort mit spöttischen Kommentaren konfrontiert. „Sie haben uns zwar nicht im klassischen Sinne diskriminiert“, schildert die Studentin, „aber sie haben uns als Paar nicht ernst genommen und uns extrem sexualisiert. Sie stellten uns pausenlos völlig unangebrachte Fragen, die unsere Intimsphäre verletzt und uns auf unsere Körper reduziert haben.“ Dass die österreichische Mehrheitsgesellschaft noch ziemlich viel Aufholbedarf hat, darüber sind sich Vanessa und Alfred Holzknecht einig. Letzterer meint: „Wir könnten noch viel von anderen Ländern lernen. Es mangelt an der Grundkommunikation.“ Dazu müssten auch Gesetze auf Bundesebene geändert werden. „Ich hoffe, dass sich die Wahrnehmung der LGBTQIA+-Community trotz des Rechtsrucks, den wir gerade erleben, in eine positive Richtung entwickelt.“ 

„Wenn man über Transsexualität, verschiedene Pronomen oder andere Geschlechter als männlich und weiblich spricht, wird es hier schon wieder kritisch.“

Vanessa, Studierende

Vanessa glaubt zwar, dass Tirol kleine Schritte nach vorne macht. „Wenn man aber über Transsexualität, verschiedene Pronomen oder andere Geschlechter als männlich und weiblich spricht, wird es hier schon wieder kritisch“, so die junge Ötztalerin. „Ich bin überzeugt, dass es eine Frage der Aufklärung ist. Wenn Menschen richtig informiert werden, sind sie gleich offener.“ Die Winter Pride hält sie für einen großen Erfolg. „So kann man den Leuten zeigen: ‚Hey, das gibt es auch! Das ist etwas ganz Normales!‘“ Solche Aufklärung über die LGBTQIA+-Community sei ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu mehr Akzeptanz.

*LGBTQIA+ steht für lesbische, schwule, bisexuelle, transsexuelle, queere, intersexuelle, asexuelle und weitere nicht-heteronormative Personen.

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