Neurowissenschaften für alle

Im Rahmen der Neurodays im Oktober hat unser Redakteur Jakob Häusle einen Tag mit den führenden heimischen Forschenden im Bereich der Neurowissenschaften verbracht. Was er als Laie von dieser Fachkonferenz mitgenommen hat.

von Jakob Häusle
„Serendipity“ von Paola Chietera. Auf dem Gewinnerbild des NeuroArt Contests sind kultivierte Nervenzellen der Großhirnrinde zu sehen. (c) Paola Chietera

Die Neurodays sind ein zweitägiges Event, das mit einem Workshop beginnt und mit einer Konferenz von und für Innsbrucks Neurowissenschaftlerinnen abschließt. Nach der letztjährigen Premiere traf sich die heimische Neuroscience-Community Mitte Oktober zum zweiten Mal im Art Loft, den Veranstaltungsräumen des Lanser Sees, um sich auszutauschen und Kolleginnen und Kollegen über die aktuelle Forschung aus verschiedenen Bereichen zu informieren. Rund 110 Personen, darunter Professoren, Postdocs und Studierende, sind der Einladung der Medizinischen Universität Innsbruck gefolgt.

Es gibt nur einen einzigen Grund, warum man sich für Raketenwissenschaft interessiert. Nämlich, weil sie sich damit beschäftigt, was getan werden muss, um eine Rakete zum Fliegen, ins Weltall und womöglich sogar auf den Mond zu bringen. Es ist also der Zweck, die Praxisanwendung, die die Theorie spannend macht. Das Neurowissenschaftsäquivalent zur Rakete, also zu dem Ding, das sie zu erklären, betreiben und modifizieren versucht, ist das Nervensystem. Und das Nervensystem ist die Basis des menschlichen Organismus. Neurowissenschaften beschäftigen sich also mit dem Treibstoff, den wortwörtlichen Ursachen intelligenten Lebens. Das Nervensystem zu verstehen, bedeutet zu verstehen, wo Krankheiten herkommen und wie man gegen sie vorgehen kann. Es bedeutet zu verstehen, wie Sinneswahrnehmung funktioniert. Und ganz grundsätzlich bedeutet es zu verstehen, wie der Körper funktioniert.

Wissenschaftlicher Austausch.

Neurowissenschaften sind nicht gleich Neurowissenschaften. Hinter diesem Sammelbegriff verbergen sich zahlreiche Disziplinen – etwa die Anatomie, die Physiologie oder die Molekularbiologie. „Weil es sehr schwer ist, in allen Disziplinen up-to-date zu bleiben und die Vernetzungsmöglichkeiten der Neuro-Community vor allem seit Corona stetig abgenommen haben, sind Veranstaltungen wie die Neurodays wichtig für den inner- und interdisziplinären wissenschaftlichen Austausch“, sagt Veranstalter Kai Kummer von der Medizinischen Universität Innsbruck (MUI). Er und sein Kollege Nico Wahl richten die Tagung gemeinsam aus. Die Konferenz besteht aus zwei Gastvorträgen, neun kurzen Talks und zwei Postersessions. Die Themen reichen von Stammzellforschung über Sprachforschung bei Babys bis hin zur Anwendung von KI bei der Interpretation von EEGs, sprich von neurologischen Diagnoseverfahren.

Es geht zum Beispiel darum, wie Babys eigentlich lernen, Sprache zu verstehen: nämlich durch Wahrscheinlichkeit sowie Endungen und Anfänge von Worten. In jeder Sprache gibt es Silben, die nur am Ende oder am Anfang eines Wortes vorkommen. So verschaffen sich Babys beim Lernen der Muttersprache einen ersten Überblick. In einem anderen Vortrag geht es um das rechtzeitige Erkennen von Krankheiten: Eine Schlafstörung namens IRBD bzw. REM-Schlaf-Verhaltensstörung ist beispielsweise ein verlässlicher Vorbote von Parkinson. Bei dieser Störung handelt es sich um eine Parasomnie, bei der sich Betroffene während des REM-Schlafes aufgrund ihrer Träume mehr oder weniger stark bewegen. Ein anderer Talk beschäftigt sich mit der vielleicht weniger überraschenden aber genauso wichtigen Erkenntnis, dass das Erlernen von Fremdsprachen das Risiko einer Demenzerkrankung drastisch minimiert.

Gemeinsam füreinander forschen.

Laut Veranstalter Kai Kummer gehe es bei den Neurodays darum, eine gemeinsame Basis zu finden. Aufgrund der Komplexität der Materie sei das allerdings sehr schwer. Nicht einmal erfahrene Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verstehen alles, was ihnen ihre fachverwandten Kollegen näherbringen möchten. Die Hürde, als fachfremde Person über die unterschiedlichen Forschungsgebiete zu schreiben, ist also verständlicherweise recht hoch. Dennoch machen die Neurodays die Tragweite der Materie deutlich: Fast alle Tiere haben ein Nervensystem. Beim Menschen befindet es sich im Hirn und im Rückenmark, seine Ausläufer durchziehen den gesamten Körper. Und das Nervensystem wirkt sich auf alles aus, was in unserem Körper passiert. Ohne ein solches könnte ich nicht hier sitzen und diese Zeilen schreiben und Sie könnten sie nicht lesen, geschweige denn die Zeitung aufmachen, oder überhaupt verstehen, was eine Zeitung ist.

So viel Forschung und Durchbrüche es auch gibt, in vielen Bereichen ist der Medizin die Funktionsweise des Körpers noch völlig unklar: „Daher gilt es, auch weiterhin gut zusammenzuarbeiten, Forschungsergebnisse zu teilen und den Mantel des Unwissens immer mehr zu lüften“, meint Kummer. Er möchte die Neurodays auch nächstes Jahr wieder veranstalten.

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