Laute Musik dröhnt durch die Cheerleader-Halle beim Tivolistadion in Innsbruck. 20 Frauen zwischen 17 und 26 schwingen Pompoms durch die Luft. Wir sind gerade erst mit dem Aufwärmen und Dehnen fertig und ich bin schon außer Atem. Das Probetraining der Raiderettes Senior Dancers gibt mir den Rest. Weil ich in der Schulzeit acht Jahre lang Jazzdance und Ballett gemacht habe, dachte ich, dass ich locker beim Training mithalten kann. Doch ich habe mich getäuscht: Im Vergleich zu den Tänzerinnen hier bin ich kaum dehnbar und das Springen und Drehen bringen mich ins Straucheln.
Feine Nuancen.
Über 200 Sportlerinnen sind bei den Raiderettes, den Cheerleadern der Swarco Raiders Tirol. Schon ab vier Jahren kann man zum Verein und stunten, also Menschenpyramiden bauen, oder Choreografien lernen. Entweder bei den Cheersportlerinnen oder bei den Dancers. Was die beiden Gruppen voneinander unterscheidet, erklärt die sportliche Leiterin der Dancers, Nadja Anzengruber: „Offiziell heißt es Performance Cheer Sport. Wir Dancers haben Elemente aus dem Jazz, Ballett und Hip-Hop, deshalb Dance. Ich glaube, die Menschenpyramiden sind der größte Unterschied. Bei uns ist der Hauptfokus auf Tanz und bei den Cheersportlerinnen auf den Pyramiden.“
Was mir beim Zuschauen auffällt, sind die zackigen, abgehackten Bewegungen. Diese sind typisch für Cheerdance, wird mir erklärt. Aus jedem Moment soll ein Foto entstehen können. Zweimal die Woche treffen sich die Seniors der Raiderettes-Tänzerinnen, um für ihre Auftritte bei den Football- und Basketballspielen der Swarco Raiders Tirol zu trainieren. Wenn die Tänzerinnen selbst an eigenen Meisterschaften teilnehmen, können auch noch Wochenendtrainings dazukommen. Die Meisterschaften sind für die Tänzerinnen aber kein Muss. „Ich frage am Anfang der Saison, wie viele Lust auf die Meisterschaft haben. Wenn es genug sind, dann ist natürlich voller Fokus darauf. Wir hatten aber schon Jahre ohne Meisterschaften.“ Die Tänzerinnen studieren oder arbeiten – als Lehrerin, Ärztin oder Physiotherapeutin beispielsweise – und betreiben Cheerleading als ein Hobby. Meisterschaften sind daher oft zu stressig.

Beim Cheersport sieht das anders aus. Da stehen die Wettbewerbe der Tänzerinnen im Zentrum. Die Auftritte bei den Footballspielen sieht man als Draufgabe, bei der man mit wenig Druck Publikumserfahrung sammeln kann. Besonders für den Nachwuchs sei das eine wertvolle Erfahrung, meint Marlene Kotzbeck, die sportliche Leiterin der Cheersportlerinnen: „Das nimmt den Stress und die Nervosität, die bei Meisterschaften natürlich entstehen. Es ist eine gute Übung und ein netter Ausgleich. Prinzipiell trainieren wir aber für unsere eigenen Meisterschaften und nicht für die Sideline bei Football-Spielen.“ Drei- bis fünfmal pro Woche werden bei den Erwachsenen während der Saison Pyramiden gebaut. Aber auch der Nachwuchs trainiert fleißig: „Die Kinder und Jugendlichen haben normalerweise zweimal die Woche Training und gehen teilweise selbst noch zum Bodenturnen und ins Fitnessstudio.“ Bei den meisten Teams kommt einmal im Monat ein Wochenendtraining dazu. Man will bei der Meisterschaft alles geben und bestmöglich vorbereitet sein. Heuer haben sich mehrere Teams der Raiderettes für die österreichische Meisterschaft qualifiziert.
„Wir trainieren nicht für die Sideline bei Football-Spielen.“
Marlene Kotzbeck
Auch die Senior Dancers haben sich für einen Auftritt bei der Meisterschaft entschieden. Zum Zeitpunkt meines Probetrainings sind es nur noch wenige Wochen bis zum Wettbewerb. Nach etwa 30 Minuten Probe für die Football-Spiele konzentrieren sich die Dancers deshalb auf die Choreografie für die Österreichische Cheersport-Meisterschaft. Jeder Schritt muss sitzen, damit man am 19. Juni in Innsbruck im Rahmen der Sports Austrian Finals erfolgreich sein kann.
Wie alles begann.
Auffallend ist, dass keine Männer bei den Cheerleadern sind. Dabei hat Cheerleading in den USA als klassischer Männersport begonnen, wie die Journalistin Stefanie Lohaus auf Zeit Online schrieb: Zu Beginn des Sports in den USA im 19. Jahrhundert war er Führungspersönlichkeiten vorbehalten. Kein Zufall also, dass es fast ausschließlich Männer waren. Unter ihnen drei ehemalige US-Präsidenten: Dwight D. Eisenhower, Franklin Roosevelt und Ronald Reagan waren in ihrer Collegezeit Cheerleader. In Europa hat Cheerleading diese Tradition nicht. Marlene Kotzbeck meint dazu: „Gerade bei uns in Österreich wird Cheerleading noch sehr als Frauensport gesehen. Für Männer ist es vermutlich auch schwieriger, Cheerleading überhaupt als Option zu erkennen. Und als Mann anzufangen, ist schon eine Überwindung.“ Bei den Tinys, also bei den ganz Kleinen, seien manchmal Jungs dabei, die ihre Schwester zum Training begleiten, berichtet Nadja Anzengruber. Später würden die Buben dann aber nicht mehr kommen.
Dass Cheerleading oft nicht besonders ernst genommen und belächelt wird, erzählen mir beide unabhängig voneinander. Nadja Anzengruber meint, dass es immer wieder überraschte Gesichter beim Probetraining gebe, weil es sehr anstrengend ist: „Die denken, dass wir nur ein bisschen tanzen!“ Ehrlich gesagt, bin auch ich überrascht, wie herausfordernd das Training ist. Besonders das Techniktraining, in dem wir Schritt für Schritt verschiedene Sprünge und Drehungen üben und immer wieder wiederholen müssen, bis es gut aussieht.
Cheerleading verbieten?
Marlene Kotzbeck erzählt: „Als ich angefangen habe, war ich einmal krank und der Arzt meinte, dass ich keinen Sport machen dürfte. Dann fragte ich, wie das mit Cheerleading sei, und er meinte, ja klar, das geht.“ Mittlerweile sei die Sportart aber bekannter geworden. Ein Vorurteil über Cheerleader, das man vor allem aus US-amerikanischen Filmen und Serien kennt, ist, dass sie oberflächlich seien und, „immer in kurzen Sachen rumlaufen und geschminkt sind“, meint Nadja Anzengruber. Bei den Raiderettes sei das aber nicht so. Sie vergleicht das Make-up und die Kleidung mit Football. „Die laufen in ihrer Freizeit ja auch nicht in Rüstung rum!“
Im Jahr 2019 hat der Geschäftsführer des Basketballklubs Alba Berlin beschlossen, das dazugehörige Cheerleading-Team aufzulösen. Die Begründung des Vereins lautete, dass „das Auftreten junger Frauen als attraktive Pausenfüller bei Sportevents nicht mehr in unsere Zeit passt“. Stattdessen wollte man den Fokus mehr auf den Frauenbasketball richten. Nadja Anzengruber von den Raiderettes Dancers sieht das kritisch: „Wir wollen vor Publikum tanzen und dafür brauchen wir auf jeden Fall die Football- und Basketballspiele. Mir kommt auch bei den Erwachsenen nicht vor, dass das Publikum nur für Football oder Basketball da ist. Es kommen viele Eltern, um ihre Mädels beim Tanzen zu sehen.“ Nur aufzuhören, weil Cheerleading als sexistisch gesehen wird, findet auch Marlene Kotzbeck nicht gut: „Früher trugen die Cheerleader bei Meisterschaften bauchfreie Dressen. Das wurde verboten. Es wurden durchaus Maßnahmen gesetzt, um dem klassischen Bild entgegenzuwirken.“

Weil mein Bruder Football spielt, habe ich selbst bereits viel Zeit im Publikum verbracht. Da fiel mir auf, dass sowohl beim Nachwuchs als auch bei den Erwachsenen immer viele Kinder zuschauen. Die Buben sind beeindruckt von den Spielzügen am Feld, spielen entweder selbst Football oder wollen später damit anfangen. Die Mädchen tragen oft glitzernde Schleifen in den Haaren, tanzen zur Musik, die aus den Lautsprechern dröhnt und sind bereits selbst Cheerleader oder wollen irgendwann dazugehen. Auch ich stand oft am Spielrand und schaute meinem Bruder zu, wie er gegen andere Spieler um den Football kämpfte. Und auch ich hatte ein klischeehaftes Bild vom Cheerleading und fragte mich: Warum wollen Mädchen nur auf der Seite stehen? Warum ist die ganze Aufmerksamkeit nur auf die Jungs gerichtet? Durch das harte Probetraining und meine intensive Auseinandersetzung mit dem Sport hat sich meine Perspektive grundlegend verändert.
Nach zwei Stunden und vielen versuchten Sprüngen und Drehungen, Technikübungen und Choreografien endet mein Probetraining bei den Seniors der Raiderettes Dancers. Die Musik geht aus, alle gehen in einen Kreis. „1, 2, 3, Sisterhood!“, schreien sie. Cheerleading ist definitiv mehr als eine Randerscheinung.
Cheerleader anfeuern
Am 19. Juni findet die Österreichische Cheersport-Meisterschaft im Rahmen der Sports Austria Finals in der Olympiaworld in
Innsbruck statt – mehrere Teams der Raiderettes haben sich bei der Tiroler Meisterschaft dafür qualifiziert. Eintritt frei.
Wer eine Raiderette werden oder zum Probetraining möchte, kann sich per E-Mail oder auf Instagram melden.
Kontakt für Dance: n.anzengruber@raiders.at
Für Cheersport: cheerleading@raiders.at