Das Gesicht der 31-jährigen Livia Păcuraru strahlt, wenn sie von ihrem Vorhaben erzählt, in der Nähe ihrer rumänischen Heimatstadt Pitești einen Gebrauchtwarenladen aufzubauen. Es ist ihr Herzensprojekt. Denn mit ihrem Geschäft möchte sie nicht nur für ihre Familie ein stabiles Einkommen erwirtschaften, sondern auch für die Menschen in ihrer alten Heimat eine nachhaltige, günstige Einkaufsmöglichkeit sowie Arbeitsplätze schaffen. Livia Păcuraru ist in Rumänien geboren, hat aber mit ihrer Familie ein Zuhause in Innsbruck gefunden. Der Weg zur eigenen Wohnung und in die berufliche Selbstständigkeit war jedoch lang und beschwerlich.
Aufgewachsen ist Livia Păcuraru als Angehörige der Bevölkerungsgruppen der Romnja und Roma in einer großen Familie in Rumänien. Nach der Schule fand sie dort nur sehr gering entlohnte Arbeit. Livia Păcuraru heiratete ihren Mann Aaron und lebte von da an bei ihrer Schwiegerfamilie – zehn Menschen in einer Zweizimmerwohnung. Selbst unter diesen Umständen reichte aber das Geld für ihre Familie nicht aus. Auch ihre Eltern konnten sie finanziell nicht unterstützen. Deshalb zog sie mit 17 Jahren und ihrem Mann als, wie sie selbst sagt, Armutsmigrantin nach Wien. Da die beiden auch dort kaum ein existenzerhaltendes Einkommen lukrieren konnten, bewegten sie sich weiter Richtung Westen und verkauften zunächst in Salzburg die Straßenzeitung Apropos. Dort schlief sie für zwei Monate in einem Zelt. Auf der Suche nach einem besseren Verkaufsplatz geriet Livia Păcuraru jedoch ohne Absicht in einen Zug nach Innsbruck. Sie ließ sich von dem kleinen Missgeschick nicht beirren und entschied sich kurzerhand, dort zu bleiben. Zunächst nächtigte sie mit ihrem Mann für zwei Wochen im Zelt eines Bekannten bis sie sich dann mit einem eigenen Zelt unter der Innbrücke in Völs einen Schlafplatz suchten. Auch in Innsbruck verkaufte Livia Păcuraru zunächst die Salzburger Straßenzeitung bis sie darauf hingewiesen wurde, dass in Tirol der 20er verkauft werde. Von da an bot sie also die Tiroler Straßenzeitung an. Rund zwei Jahre verbrachte das Paar währenddessen in ihrer prekären Wohnsituation – unterbrochen von regelmäßigen Aufenthalten in Rumänien.
Endlich zuhause.
Vor acht Jahren traf Livia Păcuraru schließlich auf den Obmann der Vinzenzgemeinschaft Waldhüttl, Jussuf Windischer, der sie in das Wohnprojekt am Mentlberg aufnahm. Diese Wendung war wegweisend: „Er hat an mich geglaubt und viele Menschen haben mir geholfen.“ Im Waldhüttl machte sie auch erstmals die Erfahrung, ihre Zugehörigkeit zu den oftmals marginalisierten Bevölkerungsgruppen der Romnja und Roma nicht verstecken zu müssen und als Romnja gleichberechtigt akzeptiert zu werden. „Es gibt leider viel Rassismus, weil wir Ausländer sind, weil wir Roma sind“, erklärt Livia Păcuraru. Etwa fünf Jahre haben sie und ihr Mann in dem Haus, welches das Stift Wilten zur Verfügung stellt, gelebt. Dann fand sie, mit der Unterstützung eines Pfarrers, eine eigene Wohnung für ihre Familie, die für weitere drei Jahre ihre Unterkunft wurde. Mittlerweile lebt Livia Păcuraru aber mit ihrem Mann und ihren vier Kindern permanent in einer Wohnung der Stadt Innsbruck. Păcuraru zieht es nicht mehr zurück nach Pitești. Sie ist nun in Innsbruck zuhause und wünscht sich vor allem, dass es ihren Kindern zwischen ein und fünfzehn Jahren – die älteren besuchen in Innsbruck die Schule – „mal besser geht als mir“.
Ein Plan für die Zukunft.
Dafür plant sie seit rund drei Jahren ihren eigenen Second-Hand-Laden in ihrer alten Heimatstadt. Schon bald soll er öffnen. Livia Păcuraru hat bereits begonnen, in ihrer Garage in Innsbruck Sachspenden zu sammeln und freut sich über weitere Beiträge: „Die Menschen schmeißen oft Dinge weg, die noch gut zu gebrauchen sind, oder die man schnell reparieren kann. Etwa alte Fahrräder, Kaffeemaschinen, aber auch Kleidung und Werkzeuge. Das ist alles sehr gefragt in Rumänien.“ Die Gegenstände werden mit einem Lastwagen nach Rumänien transportiert, wo sie ihr Vater, ein gelernter Tischler, und ihr Bruder aufbereiten und gegebenenfalls reparieren. Ihr Mann, der ohnehin wieder in Rumänien leben möchte, soll künftig den Verkauf leiten. Der Rohbau des Geschäftslokals steht jedenfalls schon. Păcuraru und ihre Familie haben aus eigener Kraft eine einfache Halle gebaut, die nun auf den Innenausbau wartet. Der Tatendrang der angehenden Geschäftsleute ist groß, doch wie so oft sind es die finanziellen Mittel, die ein Unternehmen einbremsen: Achtzig- bis neunzigtausend Euro fehlen noch, um einen Strom- und Wasseranschluss, eine Heizung und Sanitäranlagen installieren zu können. Deswegen hat Livia Păcuraru mit der Unterstützung des Filmemachers Bert Walser, den sie bei einem Dokumentarfilmdreh kennengelernt hat, eine Spendensammlung gestartet. Auf diese Weise hofft Păcuraru, noch in diesem Sommer den Betrieb aufnehmen zu können. Zur Not würde sie ohne Heizung aufsperren und dann nach und nach die übrige Infrastruktur hinzufügen.
Obwohl an der einen oder anderen Stelle noch viel Arbeit wartet, steht der Name für Livia Păcurarus Traum schon fest: „A doua șansă“, auf Deutsch „Zweite Chance“, soll der Laden heißen. Nach einem schwierigen Start ins Leben will sie damit nicht nur für ihre Waren, sondern auch für sich selbst und ihre Familie eine zuversichtliche Zukunft schaffen.

Crowdfunding
Finanzielle Spenden für Liva Păcurarus Second-Hand-Laden können auf der Plattform www.gofundme.com unter Livias zweite Chance – Second-Hand-Laden in Rumänien geleistet werden.
https://www.gofundme.com/f/livias-zweite-chance-secondhand-laden-in-rumanien