Herr Eder, erklären Sie uns bitte, was Krieg ist?

Die Innsbrucker Schülerinnen Theresa und Sophie sind elf und zwölf Jahre alt. Für sie und viele andere Kinder ist Krieg ein präsentes Thema. Für den 20er sprechen sie mit dem Politikwissenschaftler Franz Eder, um Antworten auf ihre Fragen zu bekommen.

von Jakob Häusle
Polit-Experte Franz Eder steht den Kindern Rede und Antwort. (c) Nicolas Hafele

Theresa und Sophie sind nervös. Leise und konzentriert gehen sie ihre Unterlagen noch einmal durch. Sie haben sich alle Fragen für ihr Interview, das sie gleich führen werden, selbst überlegt. 20er-Redakteur Jakob Häusle begleitet sie, um das Gespräch aufzuzeichnen und dann aufzubereiten. Der Politikwissenschaftler und Experte für internationale Beziehungen Franz Eder hat sich sofort bereit erklärt, als der 20er ihn gefragt hat, ob er mit zwei Schülerinnen über Krieg sprechen möchte. In seinem Büro an der SoWi empfängt Eder die Schülerinnen. Er kennt einige der Fragen, die ihm gleich gestellt werden, schon aus seinem eigenen Leben – er hat Kinder im Volksschulalter. Theresa und Sophie nehmen auf der Couch Platz, der Professor sitzt ihnen gegenüber.

Herr Eder, wie entsteht eigentlich Krieg?

Franz Eder: Das ist eine schwierige Frage. Krieg entsteht dann, wenn Menschen mit Politik nicht mehr zu Lösungen kommen. Konflikte sind im Prinzip nichts Schlimmes. Und Menschen versuchen normalerweise, sie friedvoll beizulegen. In einem Staat wie Österreich haben wir ein Parlament, das wir regelmäßig wählen. Wir haben Parteien, die versuchen, unterschiedliche Interessen von Menschen zusammenzubringen und Lösungen zu finden. Und das passiert, indem wir miteinander reden. Auf internationaler Ebene zwischen Staaten funktioniert es auch so. Staaten treffen sich und reden miteinander. Aber leider ist es manchmal so, dass Staaten allein durch Gespräche nicht mehr zu Lösungen kommen. Sobald ein Staat glaubt, militärisch so stark zu sein, dass er seine Interessen besser durchsetzen kann, indem er anderen mit Gewalt seinen Willen aufzwingt, entsteht Krieg.

Gibt es dafür ein aktuelles Beispiel?

Wir haben das bei Russland gesehen. Russland war davon überzeugt, der Ukraine militärisch überlegen zu sein und ihr seinen Willen aufzwingen zu können. Aber oft passiert es, dass sich keine Seite durchsetzt. Dann ist die Frage, wie man zum Frieden kommt. Die Seite, die angegriffen hat, wollte ja mehr, hat aber durch den Krieg eigentlich nicht viel dazugewonnen, sondern viele Menschen verloren. Der Seite, die angegriffen wurde, wurde etwas weggenommen. Sie kann das nicht einfach akzeptieren und kämpft weiter, um es sich zurückzuholen. Es ist momentan in der Ukraine so, dass keine der beiden Seiten bereit ist, nachzugeben, weil sie beide glauben, durchs Weiterkämpfen mehr erreichen zu können.

Franz Eder (geb. 1980) ist Dekan der Fakultät für Soziale und Politische Wissenschaften an der Universität Innsbruck. Er studierte Politikwissenschaft an den Universitäten Wien und Innsbruck. 2008 promovierte er an der Universität Innsbruck und ist assoziierter Professor für Internationale Politik am Institut für Politikwissenschaft.

(c) Andreas Friedle

Wie kann man bei einem Krieg dann gewinnen?

Einen Krieg gewinne ich dann, wenn das Gegenüber aufhört, zu kämpfen. Das klingt jetzt ganz banal, aber es ist so. Beim Krieg geht es nicht zwangsläufig darum, dass ich einen ganzen Staat erobere. Einen Krieg führe ich so lange, bis die andere Seite nicht mehr in der Lage ist, ihn weiterzuführen. Meistens sagen die dann, wir können nicht mehr, lasst uns Friedensverhandlungen machen. Wir geben nach. Das ist genau das, was Russland momentan mit der Ukraine versucht: Die Zivilbevölkerung, also die Menschen, die nicht zum Militär zählen, die zivile Infrastruktur so hart zu treffen, dass es der Bevölkerung irgendwann nicht mehr wert ist, für ihren Staat zu kämpfen, und sie sich lieber ergibt.

Wie geht es den Leuten, die in einem Land leben, wo Krieg herrscht?

Meistens nicht gut. Krieg ist mitunter das Schlimmste, was wir uns vorstellen können. Es ist das Allerschlimmste, was wir uns gegenseitig antun können. Kriege sind Ereignisse, bei denen oft Tausende, manchmal sogar Millionen von Menschen sterben können. Natürlich betrifft das vor allem Soldaten und Soldatinnen, aber auch die Zivilbevölkerung. Eigentlich gibt es im Krieg die Regel, dass die Zivilbevölkerung nicht angegriffen werden darf. Leider halten sich Staaten überhaupt nicht daran. Krieg betrifft Männer genauso wie Frauen, Alte genauso wie Junge. Das sieht man zum Beispiel in der Ukraine. Man weiß, dass die eigenen Verwandten, vor allem die Brüder, Väter und Onkel, an der Front stehen. Krieg ist eine große psychische Belastung für alle Beteiligten. In Staaten, in denen Krieg herrscht, haben wir oft auch Probleme, weil Kinder nicht in die Schule gehen können. Ganzen Generationen fehlt es an Bildung. Auch wenn ein Krieg vorbei ist, werden Staaten und vor allem die Menschen in diesen Staaten von den Konsequenzen dieser Kriege noch jahrzehntelang geprägt.

Sie haben gesagt, dass es beim Krieg bestimmte Regeln gibt, die man einhalten muss. Zum Beispiel, dass man keine Zivilpersonen angreifen darf. Welche Regeln gibt es noch?

Es gibt ganz klare Regeln im Krieg, das Kriegsrecht. Zuerst stellt sich die Frage, wann man überhaupt Krieg führen darf. Man darf Krieg führen, um sich selbst zu verteidigen. Man darf auch Krieg führen, wenn die internationale Staatenwelt, nämlich der UN-Sicherheitsrat, das genehmigt. Im Krieg selbst gibt es auch wieder Regeln. Ich darf zum Beispiel keine Waffen verwenden, die verboten sind. Das betrifft etwa chemische und biologische Waffen. Ein weiterer Punkt ist der Respekt vor Kriegsgefangenen. Wenn sich jemand in einem Krieg ergibt, ist er als Kriegsgefangener ordentlich zu behandeln. Man darf ihn nicht einfach töten. Das sind ganz klare Regeln. Problematisch ist, dass sich viele Staaten nicht daran halten. Beispielsweise Russland. Was tun wir, wenn das passiert? Dafür gibt es den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag. Dort versuchen wir bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit, jene zur Rechenschaft zu ziehen, die diese Kriegsregeln missachtet haben.

Wie können wir den Leuten in Kriegsgebieten helfen?

Unsere Aufgabe als Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, und vor allem in meinem Bereich der internationalen Politik, ist es, dazu beizutragen, dass Kriege gar nicht erst entstehen. Das Allerwichtigste ist es, Strukturen zu schaffen, damit Staaten ihre Konflikte auf friedliche Art und Weise lösen können. Aber wenn es trotzdem zum Krieg kommt, ist immer die Frage, wer der Angegriffene und wer der Angreifer ist. Es gibt natürlich Fälle, bei denen wir als Staatengemeinschaft ganz klare Regeln haben, dass wir dem Staat, der angegriffen wird, eigentlich zur Hilfe kommen müssen. Das passiert momentan im Falle der Ukraine. Wir helfen der Ukraine, indem wir sie wirtschaftlich und militärisch unterstützen und Flüchtlinge aufnehmen. Wir tun das, damit sich Russlands Angriffskrieg, der ja wirklich verboten ist, nicht auszahlt. Denn wenn sich der Krieg für Russland auszahlt, dann könnte er sich auch für andere Staaten rentieren und eine Beispielwirkung für diese Staaten haben. Das gilt es, zu verhindern.

Das Allerwichtigste ist es, Strukturen zu schaffen, damit Staaten ihre Konflikte auf friedliche Art und Weise lösen können.

Sie haben vorhin gesagt, dass Sie versuchen, Kriege zu verhindern, bevor sie passieren. Wie geht das?

Da gibt es unterschiedliche Ansätze, wie wir das als Menschen versucht haben. Zum Beispiel gibt es die Vereinten Nationen, die UNO. Das ist eine Organisation, die geschaffen wurde, damit sich Staaten bei Sitzungen treffen und über ihre Probleme reden können. Wir versuchen also, Krieg zu verhindern, indem wir die Verbindungen zwischen Staaten ausbauen. Wir argumentieren: Je enger Staaten miteinander sind, je mehr Handel sie treiben, je befreundeter sie miteinander sind, desto unwahrscheinlicher ist es, dass sie sich bekriegen. Ein weiterer Punkt ist die liberale Weltordnung, in der wir im Moment noch leben. Wir haben uns also bemüht, dass Staaten zunehmend Demokratien werden. Einfach weil Demokratien so gut wie nie miteinander kämpfen. Sie kämpfen zwar gegen andere, aber Staaten, die demokratisch sind, haben gelernt, Konflikte friedvoll zu verarbeiten. Und das tun sie dann meistens auch auf internationaler Ebene. Je mehr Demokratien es auf dieser Welt gibt, desto unwahrscheinlicher ist es, dass diese Staaten miteinander Krieg führen.

Wie kann sich ein Land bei einem Krieg heraushalten? Die Schweiz wurde etwa während des Zweiten Weltkriegs nicht angegriffen, wie geht das?

Das ist gar nicht so leicht möglich. Wir glauben immer, dass einem Staat nichts passieren kann, wenn er neutral ist. Also wenn er im Kriegsfall weder zur einen noch zur anderen Seite hält. Das hat bei der Schweiz während des Zweiten Weltkrieges funktioniert, aber bei anderen Staaten, wie zum Beispiel Belgien oder den Niederlanden, nicht. Es ist also gar nicht so leicht, sich bei einem Krieg rauszuhalten. In der Charta, sprich dem Gründungsvertrag der Vereinten Nationen, heißt es ganz klar: Wenn ein Staat angegriffen wird, haben alle anderen Staaten das Recht, diesem Staat zur Hilfe zu kommen. Und ich würde sogar sagen, nicht nur das Recht, sondern eigentlich auch die Pflicht. Das heißt, wir können uns aus dem Krieg nicht raushalten, selbst wenn wir nicht kriegsbeteiligt sind. Wir sind immer irgendwie beteiligt, weil wir die Konsequenzen eines Krieges spüren. Auch in Österreich. Wir sehen, dass Menschen zu uns flüchten. Wir sehen, dass der Handel und die Energieversorgung beeinträchtigt werden. Wir denken, das ist weit weg, hat mit uns nichts zu tun. Aber warum flüchten denn dann Menschen aus Afrika, aus Syrien, dem Libanon oder den palästinensischen Gebieten zu uns? Weil sie dort nicht mehr leben können. Deshalb flüchten sie. Und kommen dann zum Beispiel nach Europa. Das heißt, wir sind zwangsläufig davon betroffen. Die Vorstellung, dass wir uns in der heutigen Welt von Kriegen abkoppeln könnten, ist vollkommen illusorisch.

Politikwissenschaftler Franz Eder im Gespräch mit Sophie und Theresa in seinem Büro. (c) Nicolas Hafele
Wieso braucht es eigentlich immer ein Feindbild?

Feindbilder werden von der Politik bedient, um ihre eigenen Interessen durchzusetzen. Einerseits kann man mit ihnen die Bevölkerung von Problemen, die es im Land gibt, ablenken. Andererseits kann man sie nutzen, um die eigene Macht zu stützen. Das sind die Hauptmotive.

Warum muss Macht ständig ausgedehnt werden?

Menschen, die Macht haben, wollen diese Macht generell behalten. Macht ist ein ganz „süßes Gift“. Irgendwo gibt es diese schöne Redewendung: „Macht schmeckt wie Salzwasser, je mehr jemand davon trinkt, desto durstiger wird er.“ Und genau so ist es. Deswegen haben wir in Demokratien Regeln geschaffen, dass Menschen nur eine bestimmte Zeit an der Macht bleiben können und Macht immer wieder abgegeben werden muss. Entweder durch Wahlen oder durch Amtszeitbeschränkungen. Ein US-Präsident darf zum Beispiel nur zwei Amtszeiten absolvieren, damit er nicht zu viel Macht anhäuft. Und Macht ist einfach die Fähigkeit, den eigenen Willen gegen den Willen von anderen durchzusetzen.

Donald Trump ist gerade erneut Präsident der USA geworden. Könnte dadurch jetzt ein Krieg ausgelöst werden?

Das könnte immer passieren. Trump hat zwar gesagt, er will keine Kriege, aber es ist ganz schwer zu sagen, was dieser Mensch will. Weil oft etwas, was er heute sagt, morgen ganz anders ist. Und verhalten tut er sich dann nochmal auf eine dritte Art und Weise. Möglich ist alles. Die USA sind einfach der mächtigste Staat auf dieser Welt, auch wenn die Macht im Vergleich zu den anderen immer kleiner wird. Aber dass die USA und ihr Verhalten Auswirkungen darauf haben, wie andere Staaten sich verhalten, und dass das zu Krieg führen kann, ist immer der Fall.

Warum träumen so viele Menschen von der Größe des eigenen Herkunftslandes?

Das ist wirklich eine sehr gute Frage. Wir sehen zum Beispiel aus der Forschung, die wir betreiben, dass Menschen sich oft besser fühlen, wenn sie Teil von etwas Großem sind. Und das trifft leider oft auch Menschen, die vielleicht sonst wenig haben. Gerade diejenigen, die sozial schwach und wirtschaftlich benachteiligt sind, fühlen sich besser, wenn sie zumindest argumentieren können: Ich habe zwar selbst nicht viel, aber ich bin Teil von etwas Großem. Ich bin Teil von einem großen, mächtigen und einflussreichen Russland. Und deswegen bin ich ein besserer Mensch. Dieser Nationalismus ist wirklich ein großes Problem für diese Welt. Für mich ist es ganz klar, dass der Wert eines Menschen von seiner Herkunft unabhängig ist. Jeder Mensch ist gleich viel wert. Und für viele ist das eben nicht genug. Sie wollen mehr sein. Sie glauben, mehr zu sein. Aufgrund ihrer Herkunft und aufgrund ihrer Ideologie, also ihrer Weltanschauung.

Vielen Dank für das Gespräch.

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