Dienstag, 11. Juni, irgendwann am Vormittag. Es muss sich um einen Scherzanruf handeln. Darüber sind wir uns alle einig, nachdem unsere Redaktionsmanagerin Sophie den Hörer aufgelegt und von ihrem Telefonat berichtet hat. Mit dubiosen Versprechungen hoher Geldsummen hat man normalerweise nur in seinen Spam-E-Mails zu tun, aber nicht im echten Leben.
Der 20er sei, so die Stimme am anderen Ende der Leitung, von Marlene Engelhorns „Gutem Rat“ als eine von 77 begünstigten Organisationen ausgewählt worden. Wie die anderen österreichischen Straßenzeitungen käme auch uns eine Geldsumme von 52.550 Euro zu, erzählt die Stimme. Dass wir das Ganze streng vertraulich behandeln müssen, weil die offizielle Verkündung erst in ein paar Tagen stattfinden werde, ermahnt uns die Stimme. Dass wir heute noch ein Bestätigungs-E-Mail bekommen würden, verspricht uns die Stimme.
Aber selbst am Vormittag des darauffolgenden Tages bleibt unser Postfach leer. Wir werden unruhig und insgeheim rechnen wir schon damit, dass sich irgendwer einen schlechten Scherz auf unsere Kosten erlaubt hat. Sophie ruft am darauffolgenden Tag nochmal an. Technische Probleme mit dem E-Mail-Programm, sagt die Stimme.
Dienstag, 13. Juni, 11:06 Uhr. „Alerta alerta, da ist die Mail!!! :))“
Mit diesem Betreff leitet Sophie das offizielle Schreiben weiter, jetzt haben wir es schwarz auf weiß, kein Scherz, sondern ein Traum. In ihrem kurzen Brief begründen die Ratsmitglieder ihre Entscheidung: „Wir haben uns für Ihre Organisation entschieden, weil Sie wohnungslosen Menschen ermöglichen, mit einem Zuverdienst und einer Beschäftigung ihre Situation zu verbessern. Wir […] wünschen Ihrer Organisation eine erfolgreiche weitere Arbeit im Sinne einer gerechteren Gesellschaft.“
Damit treffen sie den Kern der 20er-Idee: Menschen aus marginalisierten Gruppen verkaufen die Zeitung auf Tirols Straßen und dürfen die Hälfte der Erlöse behalten. Die Tage bis zur offiziellen Verkündung vergehen wie im Flug, wir teilen die frohe Kunde auf unseren
Social-Media-Kanälen, der Zuspruch und die Freude unserer Leserinnen und Leser ist enorm.
52.550 Euro sind viel Geld für uns. Es ermöglicht uns, zumindest kurzzeitig zum Luftholen zu kommen. Aber vor allem ist es eine wichtige und motivierende Botschaft, weiterzumachen. Die Anerkennung des „Guten Rats“ ehrt und freut uns, aber sie kann nur ein Anfang sein, denn der Weg hin zu einer gerechten Gesellschaft ist noch weit. Wir werden auch in Zukunft unseren Teil dazu beitragen.