Für Vielfalt auf der Bühne

Simone Strickner aus Innsbruck leitet seit zwei Jahren die renommierte Schauspielschule Cours Florent in Paris. Dem Schauspielnachwuchs will sie Mut machen, die eigene Rolle zu finden und „Nein“ zu sagen, wenn Grenzen überschritten werden.

von Eva Schwienbacher
Simone Strickner wohnt bereits seit über 20 Jahren in Paris, wo auch dieses Porträt entstand. (c) Christian Helgi

Von ihrem Büro in der Pariser Schauspielschule meldet sich Simone Strickner zum Video-Call. Es ist Mitte November, sie kommt gerade aus einer Konferenz. An der Wand hinter ihr hängt ein eingerahmtes Pina-Bausch-Plakat und ein Foto einer Theatertruppe. Strickner trägt zu ihrer blonden Kurzhaarfrisur große runde Hängeohrringe, die umhertanzen, wenn sie spricht. Immer wieder beugt sie sich vor bis kurz vor die Kameralinse, unterstreicht Gesagtes mit den Händen, lacht und wird wieder ernst. Wenn sie vom Theater, von ihrem Weg dorthin, dem Unterrichten und Schauspielen in Fremdsprachen spricht, merkt man: Sie liebt, was sie tut.

Seit zwei Jahren steht die Innsbruckerin an der Spitze einer der wichtigsten Schauspielschulen Frankreichs, der Cours Florent in Paris. Auch sie selbst hat dort das Schauspielen gelernt und jahrelang gelehrt. Seit über zwanzig Jahren lebt die 45-Jährige in der französischen Hauptstadt. Den Klang der französischen Sprache mochte sie schon immer. Das Rampenlicht weniger. Sie war in jungen Jahren schüchtern und alles andere als prädestiniert für die Bühne, erzählt sie. Ihr erster Auftritt fußt auf einem Missverständnis: Im Gymnasium in Innsbruck nahm sie mit ihrer Deutschklasse an einem Wettbewerb des Tiroler Landestheaters teil. Die Aufgabe war, ein Grimm-Märchen fürs Theater umzuschreiben. Ihre Gruppe gewann, sie wurde ins Theater eingeladen. Dort hieß es, dass sie ihren Text aufführen sollten. Es ging also nicht bloß ums Schreiben. Und so fand sich Strickner plötzlich als tapferes Schneiderlein auf der Bühne wieder. „Das war mein erster Kontakt mit dem Theater. Es hat mich begeistert, einen Text zu interpretieren, ihm Stimme zu geben und sich in die Rolle hineinzuversetzen. Das war eine komplett neue Erfahrung.“ Ihr Glück war, sagt sie, dass sie am Landestheater wohlwollenden Leuten begegnet sei, die sie gefördert haben.

Simone Strickner, geboren 1979 in Innsbruck, spielte schon während ihrer Schulzeit im Tiroler Landestheater. Vor über zwanzig Jahren ging sie nach Paris, um an der Cours Florent zu studieren und selbst Stücke zu inszenieren. Seither ist sie der französischen Hauptstadt sowie der renommierten Schauspielschule, die sie seit 2022 leitet, treu geblieben.

Foto: Christian Helgi

Individuelle Fähigkeiten erkennen und stimulieren – das ist auch der Ansatz, mit dem die Cours Florent Schüler und Schülerinnen ausbildet. Der Ansatz sei heute nichts Besonderes, erklärt Strickner. 1967, als der 2021 verstorbene Schauspieler François Florent die Schule gegründet hat, galt er jedoch als innovativ. Nach ihrer ersten Bühnenerfahrung war sich Strickner sicher, dass sie zum Theater wollte. Dann ging alles ganz schnell. Parallel zum Gymnasium absolvierte sie eine Schauspielausbildung am Tiroler Landestheater. Mit 18 machte sie die Paritätische Bühnenprüfung, das staatliche Diplom für Schauspielerinnen in Österreich. Neben ihrem Studium der Romanistik (Spanisch und Französisch) und Germanistik in Innsbruck spielte sie in Wien und in der Theatergruppe des französischen Kulturinstituts in Innsbruck – als einzige Nicht-Muttersprachlerin. Sie übte Aussprache und Nasallaute. Schließlich schickte sie das französische Kulturinstitut für ein Jahr an die Cours Florent, was für sie eine „echte Entdeckung“ war.

„Ich hatte schon immer diese Leidenschaft für andere Sprachen und Kulturen und freute mich, dass ich meinen Beruf in verschiedenen Ländern ausüben konnte“, erzählt Strickner. Sie wollte wissen, ob sie es in der Kulturmetropole als Österreicherin schaffen konnte, und zog nach Paris. Ihr Plan ging auf: Sie bekam Engagements als Schauspielerin und künstlerische Mitarbeiterin an zahlreichen internationalen Häusern und schaffte es ans Théâtre national de l’Opéra-Comique in Paris. Schließlich brachte sie als künstlerische Mitarbeiterin und Produktionsleiterin der Kompanie des 2013 verstorbenen Theatermachers Jérôme Savary Stücke auf Bühnen rund um den Globus. „Das war die Zeit, in der ich sehr viel aus dem Koffer lebte“, erzählt die Innsbruckerin. Als der Cours-Florent-Gründer ein Stück von ihr sah, welches sie in zehn verschiedenen Sprachen inszenierte, holte er sie 2010 als Professorin an seine Schauspielschule. „Durch die Regiearbeit war die pädagogische Seite immer schon präsent“, erzählt Strickner. 2011 führte sie dort auch das Schauspiel auf Deutsch ein, einen Lehrgang, der auch ihren eigenen Weg widerspiegle.

Die Internationalisierung war an der Cours Florent von Beginn an wichtig – heute können die Schülerinnen und Schüler aus Angeboten auf Französisch, Englisch, Spanisch und Deutsch wählen. Die Aufgabe einer Schauspielschule bestehe darin, Vielfalt zu fördern. „Es geht nicht darum, junge Leute zu formen, sondern ihnen Grundlagen mitzugeben, damit sie ihre eigene, individuelle Rolle finden.“ Seit 2022 ist die polyglotte Innsbruckerin Direktorin der Cours Florent und die erste Frau in dieser Position. Sie will den internationalen Kurs fortsetzen und stärken und dem Nachwuchs möglichst viele verschiedene Theatertraditionen nahebringen. Darüber hinaus ist ihr der Kampf gegen sexuelle und sexistische Gewalt im Künstlerbereich ein Anliegen, denn auch die Cours Florent sah sich vor einigen Jahren mit MeToo-Fällen konfrontiert. Neben der Einführung einer 24-Stunden-Hotline setzt sie dabei auf Aufklärung und die Stärkung des Selbstbewusstseins. „Die psychische und körperliche Gesundheit des Individuums muss absolut gesichert werden. Es gibt den Mythos, dass man in der Kunst alles von Leuten verlangen kann. Das finde ich sehr gefährlich.“ Man müsse nicht zu allem Ja sagen, um Teil des Show-Business zu werden. Im Gegenteil. Das Theater sei ein Ort, an dem man Dinge verändern kann. „Es ist für die Gesellschaft wichtig, so einen Raum des Ausdrucks und des Nachdenkens zu haben, aber auch der Unterhaltung, wo man einfach durchatmen kann“, sagt Strickner. Den Schülerinnen will sie Mut machen, ihren Weg zu finden. Ein Akzent könne beispielsweise etwas Charmantes und Individuelles sein. Bei Simone Strickner klingt ab und zu das Französische durch, etwa wenn sie ruft: „Absolut!“ und dabei herzhaft lacht.

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