Es geht um Menschlichkeit

Gute Fragen zu stellen, ist eine Kunst. Eine, die das kann, ist Mari Lang. Die Moderatorin und Journalistin holt seit mittlerweile fünf Jahren in ihrem Frauenfragen-Podcast Männer vors Mikrofon, um ihnen Fragen zu stellen, die typischerweise Frauen zu hören bekommen. Ihre Vision: eine gerechtere Welt für alle.

von Eva Schwienbacher
Mari Lang weiß mittlerweile, was Männer auf Frauenfragen sagen. (c) Pascal Riesinger
In einem Interview haben Sie kürzlich erzählt, dass Sie Skifahren hassen. Stimmt das?

Mari Lang: Das stimmt. Ich bin in Niederösterreich aufgewachsen, im Burgenland in die Schule gegangen. Da gibt es keine Berge. Meine Mutter ist Ungarin. Ich hatte also auch familiär keinen Zugang zum Skifahren. Ich habe mich durch Schul-Skikurse gequält und irgendwann beschlossen: never ever.

Wie ging es Ihnen während der coronabedingten Lockdowns, als Skigebiete offenblieben, während Wien alles dicht machte?

Das hat mich eigentlich kaltgelassen.

In dieser Zeit haben Sie Ihren Frauenfragen-Podcast gestartet. Sie waren Sport-Moderatorin beim ORF und ihr Chef soll Sie in Kurzarbeit geschickt haben mit den Worten: „Jetzt können Sie sich um Ihre Kinder kümmern.“ Haben Sie jemals mit ihm über diese Aussage gesprochen?

Nein. Doch inzwischen denke ich, dass es nicht schlecht wäre, noch einmal darüber zu sprechen. Ich finde es wichtig, in Dialog zu gehen. Er ist mittlerweile in Pension.

Mari Lang ist Journalistin, Moderatorin, Keynote-Speakerin und Autorin. Sie war unter anderem Redakteurin und Moderatorin bei FM4, hatte eine eigene Reportagesendung auf ORF eins und moderierte die Sportnachrichten. Aktuell ist sie für Ö1 tätig. Ihr Podcast „Frauenfragen“ wurde mehrfach zum besten feministischen Podcast Österreichs gewählt.

Foto: Pascal Riesinger

Im Frauenfragen-Podcast stellen Sie bekannten Männern Fragen, die typischerweise Frauen zu hören bekommen, und diskutieren über Vereinbarkeit von Familie und Beruf. War Ihre Überlegung, dass man Männer ins Boot holen muss, um Gleichstellung voranzubringen?

Ich beginne im Heute: Je länger ich mich mit dem Thema beschäftige, desto klarer wird mir, dass es an der Zeit ist, bei den Männern anzusetzen, damit sich wirklich etwas bewegt. So viel an Belastung lastet auf den Schultern von Frauen, dass zu wenig Energie bleibt, um die Gleichstellung voranzutreiben. Es braucht die restlichen 50 Prozent der Bevölkerung, die diesen Karren auch mitzieht und anschiebt. Das Patriarchat, in dem wir leben, ist auch für Männer nicht das Nonplusultra. Nur fünf bis zehn Prozent der Männer, die wirklich in Machtpositionen sind, profitieren davon. Aber der Durchschnittsmann ist jetzt auch nicht der große Gewinner des Patriarchats. Wenn wir uns die Suizidraten und die psychische Gesundheit von Männern anschauen, wird klar, dass es einen enormen Verbesserungsbedarf gibt. Mein Ex-Mann, der fortschrittlich ist, wollte Elternschaft zu gleichen Teilen leben. Doch während ich als Mutter ständig mit Erwartungsdruck und Fragen zu meinen Kindern konfrontiert wurde, blieb ihm das meistens erspart. Da wurde mir klar: Gesellschaftliche Strukturen machen es Männern einerseits schwer, Verantwortung zu übernehmen, nehmen sie ihnen andererseits aber auch ab.

Das Patriarchat, in dem wir leben, ist auch für Männer nicht das Nonplusultra.

Und so entstand der Frauenfragen-Podcast.

Ich wollte ein experimentelles Setting schaffen, in dem Männer kurz erleben, wie es ist, eine Frau zu sein und mit anderen Fragen, anderen Erwartungen konfrontiert zu werden. Argumente wie „Frauen wählen die falschen Berufe“ oder „seid selbstbewusster“ klingen auf dem Papier logisch, ignorieren aber, wie schwer es ist, sich in einem anderen Weltbild zu behaupten. Mein Ansatz war, Männern diese Realität spürbar machen.

Inzwischen haben Sie über 50 Folgen produziert, unter anderem mit Florian Klenk, Armin Wolf, Toni Faber. Was war Ihr bestes Gespräch?

In allen Gesprächen gab es erhellende Momente. Es geht mir nie darum, meine Gesprächspartner von meinem Weltbild zu überzeugen, sondern um Austausch. Und wenn ein Gespräch zum Nachdenken anregte, mich inspirierte oder etwas lehrte, war es ein gutes Gespräch. Das Gespräch mit Toni Faber hat mich besonders beschäftigt, weil meine eigene Auseinandersetzung mit Feminismus stark von meinen Erfahrungen in der katholischen Kirche geprägt wurde. Ich ging in einen von Nonnen geführten Kindergarten und eine Mädchenschule, war Ministrantin und fand die Kirche zunächst faszinierend – so sehr, dass ich Nonne werden wollte. Doch irgendwann mit circa zwölf Jahren wurde mir bewusst, dass ich bestimmte Dinge allein deshalb nie tun dürfte, weil ich ein Mädchen war. Das Gespräch mit Toni Faber hat mich deshalb so erschüttert, weil es nicht nur um Geschlechtergerechtigkeit ging, sondern um Menschlichkeit. Seine Aussagen haben mir das Gefühl gegeben, dass es in der Kirche nicht um Gleichheit geht, sondern um eine Hierarchie, in der manche „gleicher“ sind als andere. Das hat mich tief getroffen.

Woher kommt es, dass Sie sich so früh schon Gedanken über Feminismus gemacht haben?

Ich glaube, es hat viel mit meiner Herkunft zu tun. Ich bin zwischen zwei Ländern und Kulturen aufgewachsen und komme aus einer klassischen Arbeiterfamilie. Obwohl meine Eltern arm waren, schickten sie mich in eine Privatschule. Dort war ich von Töchtern von Rechtsanwälten, Ärzten und Architekten umgeben und spürte ganz klar Klassenunterschiede. Hinzu kam, dass meine Mutter allein aufgrund ihrer Sprache stigmatisiert wurde. „Was ist denn mit der, warum redet die nicht gescheit Deutsch?“ Das hat mir früh gezeigt, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der wir zwar so tun, als hätten wir alle die gleichen Rechte und Chancen, doch das stimmt de facto nicht. Ich habe dann alle Kraft aufgewendet, um dieses Minus der Herkunft, mit dem ich geboren wurde, auszugleichen. Das ist mir ganz gut gelungen. Doch das Minus, das mein Geschlecht mit sich bringt, kann ich nicht ausgleichen. Ich habe es unter größter Kraftanstrengung versucht, doch spätestens in dem Moment, als ich Mutter wurde, bekam ich ein Problem.

Warum?

Einerseits erfordert Muttersein andere Qualitäten. Andererseits geriet meine Vorstellung von Erfolg durcheinander. Vor der Schwangerschaft hatte ich meinen Traumjob – eine eigene Reportagesendung im ORF. Ich war beruflich angekommen. Doch dann war plötzlich alles weg, was mich ausmachte. Ich befand mich in einer Rolle, die als die Erfüllung meines Lebens gelten sollte. Doch ich fühlte mich völlig fremd darin. Es wird erwartet, dass Frauen automatisch wissen, wie Mutterschaft funktioniert, und es lieben. Männer hingegen dürfen offen sagen, dass sie mit einem Neugeborenen nichts anfangen können – ohne Konsequenzen. Mein größter Aha-Moment kam, als mir klar wurde, dass ich trotz meiner Überzeugung, eine fortschrittliche und gleichberechtigte Frau zu sein, tief verankerte Rollenbilder in mir trug. Wir glauben an Gleichberechtigung, doch innerlich plagen uns Zweifel: „Darf ich mir einen Abend mit Freundinnen nehmen?“ Während Männer selbstverständlich Zeit für sich beanspruchen. Echte Veränderung braucht Arbeit – nicht nur an der Gesellschaft, sondern auch an uns selbst. Ein weiterer Punkt ist, dass unsere Gesellschaft suggeriert, dass alles möglich ist. Doch wenn Frauen daran scheitern oder erschöpft sind, wird es als individuelles Versagen gewertet, statt als strukturelles Problem erkannt.

Wir glauben an Gleichberechtigung, doch innerlich plagen uns Zweifel.

Wie kommt man aus dem Dilemma raus?

Ein mächtiges Tool, das wir Frauen haben, ist Offenheit. Nur wenn wir darüber sprechen, kann Veränderung passieren. Auch ich hatte Vorurteile: Im Kindergarten sah ich berufstätige Mütter, deren Kinder von der Nanny abgeholt wurden und die alle Feiern verpassten, und dachte: „Die armen Kinder.“ Bei Vätern hätte ich das nie hinterfragt – weil es bei ihnen als normal gilt. Ich glaube, wir müssen anfangen, als Frauen ehrlicher miteinander zu reden. Und zu sagen: „Mich irritiert es, dass du 40 Stunden arbeiten gehst und deine Kinder fremd betreuen lässt.“ Nur wenn ich das ausspreche, erfahre ich etwas über mich selbst. Ein weiterer Punkt ist Solidarität: Anderen Frauen Hilfe anbieten und zugeben: „Scheiße, ich bin auch oft aufgeschmissen. Und ja, mein Kind nervt auch oft und ich hätte es gern anders.“

Sie sagten vorhin, dass Männer mehr in den Fokus gerückt gehören. Braucht es Ihrer Meinung nach eine Debatte über Vereinbarkeit von Vaterschaft und Beruf?

Ja. Ich bin der Meinung, dass der Fokus viel mehr auf den Männern liegen muss. Erstens, weil dort viel zu wenig passiert ist. Wir sehen ja jetzt auch erschreckende Entwicklungen, was sogenannte Männlichkeit betrifft – am plakativsten in Amerika. Außerdem sind Themen wie Vereinbarkeit, Familie, Altersarmut immer fast ausschließlich Frauensache. Solange das so bleibt, fühlen sich Männer nicht zuständig, weil es mit ihnen nichts zu tun hat. Außer, dass sie eine arme Frau, Schwester, Tante, was auch immer haben, die betroffen ist. Aber das beste Beispiel für mich ist Gewalt. Gewalt gegen Frauen. Wir nennen die Täter nicht. Es sind Männer. Aber darüber reden wir nicht. In der öffentlichen Debatte geht es viel darum, wie wir Frauen empowern und unterstützen können. Doch kann bitte mal jemand sehen, dass Männer dringend Hilfe brauchen?! Ich glaube, Frauen wissen, wo es hingehen soll. Und wir können ganz viel. Man muss uns nur lassen.

Ist die Luft nach 50 Folgen Frauenfragen so langsam draußen? Gibt’s neue Pläne?

Nach 50 Folgen ist es tatsächlich so, dass ich das Gefühl habe, es wird Zeit für eine neue Richtung und Herausforderung. Seit einiger Zeit bin ich deshalb mit der „Frauenfragen-Show“, einer Art Kabarettprogramm und Live-Gespräch, auf der Bühne. Und ich arbeite an einem neuen Podcast-Format, in dem es um Künstliche Intelligenz und Menschsein gehen soll – auch immer mit einem feministischen Fokus.

Am 8. März ist ja Weltfrauentag. Was bedeutet Ihnen dieser Tag?

Es ist ein wichtiger Tag. Einerseits, um sich bewusst zu machen, was Generationen an Frauen vor uns geleistet haben, damit wir heute da stehen, wo wir stehen. Man darf sich auch einmal zu Gemüte führen, wie es vor 150 Jahren, was Frauenrechte betrifft, in Österreich und in Europa ausgeschaut hat. Das ist das eine, sich zu erinnern und das auch mal zu feiern und zu sagen, wie großartig wir Frauen sind, wie viel wir schaffen können, wie viel wir geschafft haben und dass wir uns gegenseitig bestärken. Das ist für mich der 8. März. Absurd ist, Missstände an einem Tag zu thematisieren – und dann ist das Thema abgehakt. Besser wäre: 365 Tage berichten, einen Tag feiern.

Vielen Dank für das Gespräch.

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