Die Innensicht der Außensicht

Fünf Jahre lang fotografierte Thomas Schrott für den 20er die Serie „Ein Mensch“.
Jetzt ist daraus der Fotoband „inwendig“ entstanden.

von Jakob Häusle
In seinen intimen Porträts begegnet Thomas Schrott Menschen mit Tirol-Bezug. (c) Thomas Schrott

In das Designforum Weisraum in Innsbruck passt kein Mensch mehr. Bis vor die Eingangstüre des Ausstellungssaals stehen Kunstinteressierte dicht aneinandergedrängt. In ihrer Mitte nimmt Thomas Schrott Platz, der an diesem Februarabend seinen neuen Fotoband vorstellt. „Im auswendig lernen war ich noch nie gut“, sagt er. Sein Buch hat er deswegen „inwendig“ genannt. Die 52 Bilder, allesamt intime Porträts von in Tirol lebenden Menschen, entstanden in den vergangenen fünf Jahren. Jeden Monat fotografierte Thomas Schrott für den 20er die Serie „Ein Mensch“, in der er Personen mit Tirol-Bezug, denen er meist zufällig begegnete, ablichtete.

Sein Ziel war es, zu zeigen, „was im Leben alles möglich ist“. In Tirol leben die verschiedensten Menschen und niemand ist ein Klischee. Thomas Schrott zeigt sie alle in ihren Eigenfarben. Da ist etwa Eva, ein junge, queere Chemie-Studentin, die er in der Pfarre ansprach. Oder Roberto, der an seinem Geburtstag als Pink Panther verkleidet mit einer kleinen Flasche Sekt hinaus in die Welt geht und dort mit Freunden und Fremden anstößt.

Thomas Schrotts fotografische Reise durch die Vielfalt Tirols begann in Innervillgraten. Dort lernte er 2019 Detta Senfter kennen. Die damals 90-jährige Frau, die ihren Geburtsort ein Leben lang nicht verließ, war die erste Person, die er für das Projekt fotografierte. Ihr Bild mit kurzem Text erschien in der 20er-Märzausgabe 2020. Das Konzept entwickelte Schrott gemeinsam mit der damaligen Chefredakteurin Rebecca Sandbichler, die auch bei den Texten mithalf. „Für mich war von Anfang an klar, dass aus dem Projekt für den 20er ein Buch entstehen soll“, sagt Schrott.

(1) Roberto Gagliano als Pink Panther. (c) Thomas Schrott

(2) Eva Rauch, Hand im Gesicht. (c) Thomas Schrott

Laut Paul Watzlawick hat jede menschliche Kommunikation einen Inhalts- und einen Beziehungsaspekt. Inhaltlich scheint die Sache beim Fotografieren klar zu sein: Eine Person steht hinter, eine vor der Kamera. Was aber alles zwischen Fotografen und Fotografiertem möglich ist, oder anders gesagt, wie gut, schön, wahrhaftig, sensibel oder intim Bilder werden können, hängt vor allem von der Beziehung und dem Vertrauen zwischen den beiden Akteuren ab. Deshalb hat Thomas Schrott jeden Fototermin immer mit einem Gespräch begonnen. „Ich habe eine ehrliche Neugier für die Menschen, die ich porträtiere. Während ich mit ihnen spreche, achte ich auf Gestik und Mimik und schaue mich gleichzeitig im Raum um. Ich suche ständig nach dem richtigen Ort, der richtigen Perspektive für meine Bilder.“ Die meisten Fotos entstanden in den vier Wänden der Porträtierten. Schrott war es wichtig, die Menschen in einer Umgebung zu fotografieren, in der sie sich wohlfühlen.

Thomas Schrotts Fotoband vereint scheinbare Paradoxien. Fotografien von Menschen zeigen naturgemäß Äußerlichkeiten. „inwendig“ schafft es, das Innere nach außen zu kehren. Und anstatt die porträtierten Menschen nur anzuschauen, sieht man sie in einem Moment der Wahrhaftigkeit.

INWENDIG

Thomas Schrott. edition Himmel. 2025, 168 Seiten, 35 Euro
Hier gehts zum Buch

Bevor Thomas Schrott einen Menschen
porträtiert, stellt er ihm Fragen. Drei dieser Fragen beantwortet er diesmal selbst.

Warum stehst du in der Früh aus dem Bett auf?
Jeder Tag ist für mich einfach eine Freude. Ich stehe auf und sage: Heute wird ein guter Tag. Ich denke nicht an die großen Dinge, ich mag diese Höhen und Tiefen nicht. Am Abend, bevor ich schlafen gehe, bedanke ich mich für drei Sachen, die gut waren. Zum Beispiel war heute der Espresso super. Wir haben ein schönes Gespräch gehabt. Oder ich habe mit meinen Kindern irgendeinen Blödsinn gemacht.

Hat es in deinem Leben einen Schlüsselmoment gegeben?
Es gab zwei Schlüsselmomente. Einmal ist beim Alpinklettern ein großer Stein ganz knapp an mir vorbeigerauscht. Wenn er mich getroffen hätte, würde ich jetzt nicht hier sitzen. Da habe ich mir gedacht: Pass auf, es kann jederzeit vorbei sein. Und der zweite Moment war, als es mich nervlich zusammengehaut hat, weil mir alles zu viel geworden ist. Da musste ich mich auf das rückbesinnen, was mir wichtig ist und was ich selbst im Leben möchte.

Was sind für dich aktuell die größten Herausforderungen in der Gesellschaft?
Wir setzen uns alle dauernd extrem unter Druck. Dazu kommt die ständige mediale Beschallung. Wir hören von Krankheiten, Kriegen oder der schwierigen Wirtschaftslage. Da positiv zu bleiben, ist sehr schwierig. Das macht die Menschen kaputt, weil sie kein Licht am Ende des Tunnels mehr sehen. Sie haben keine Hoffnung und ohne Hoffnung bricht man ein. Deshalb ist es so wichtig, einen Sinn für sein eigenes Leben zu finden. Man muss sich seine Projekte suchen und vor allem muss man geduldig bleiben.

Abonnieren

Ein Abo der Tiroler Straßenzeitung ist immer eine gute Idee! Um nur 64 Euro erhalten Sie zehn Ausgaben bequem zu Ihnen nach Hause geschickt. Wir liefern den 20er monatlich dorthin, wo unsere Verkaufenden nicht sind. Ob nach Prutz oder Wien.

Spenden

Von einer Mahlzeit für die Verkäuferinnen und Verkäufer bis zu den Druckkosten einer gesamten Ausgabe, Sie entscheiden wie Sie uns unterstützen können und wollen. Egal wie viel, wir freuen uns immer über Ihre Spenden.