Herr Weingarth, wenn Sie Ereignisse wie die zerstörerischen Muren in Gschnitz heuer im Sommer miterleben – sind diese für Sie Antrieb oder spüren Sie dabei die Grenzen technischer Prävention?
Steve Weingarth: Es zeigt, dass wir mit unseren Produkten zur richtigen Zeit am richtigen Ort sind. Wir müssen unsere Technologien weiter ausbauen – etwa mit Radarsensorik für hochalpine Bereiche. Da grenzen wir uns auch klar von anderen Unternehmen ab.
Der Name GMD steht für „Geomorphing Detection“. Was versteht man darunter?
Darunter versteht man das systematische Erkennen und Erfassen von Veränderungen an der Erdoberfläche, etwa flachgründige Hangrutschungen nach heftigen Regenfällen. Ursprünglich haben wir Technologien entwickelt, um diese oberflächennahen Veränderungen zu erkennen. Inzwischen haben wir unsere Sensoren weiterentwickelt, um auch größere Prozesse wie Hochwasserereignisse und Muren erfassen zu können. Ergänzend erheben wir Metadaten, die Messungen präzisieren und für die weitere Analyse nutzbar machen.
Wie erfassen Sie solche oberflächlichen Bewegungen?
Zum Beispiel mit Drohnen und Fotogrammetrie. Wir erstellen 3D-Modelle und vergleichen sie über Wochen und Monate. So sehen wir, ob sich etwas verändert hat – etwa bei Grasnarbenrutschungen.
Sie testen Ihre Sensoren gerade an unterschiedlichen Standorten in den Alpen, etwa bei der Festung Kufstein, wo ein digitales Steinschlag- und Murenwarnsystem entwickelt werden soll. Worum geht es dabei genau?
Das ist ein gemeinsames Projekt mit dem MCI, der Uni Innsbruck, dem Land Tirol und dem Bauunternehmen HTB. Wir liefern dafür unter anderem die KI-gestützte Sensorik und die Software dazu. 20 Sensoren wurden in der Steilwand an der Festung oberhalb der Innpromenade in Kufstein installiert, um seismische Bewegungen in der Felswand in Echtzeit festzustellen. Ziel ist, frühzeitig zu erkennen, ob es zum Felssturz kommt. Auch Steinschlagnetze wurden mit Sensoren ausgestattet. Wenn Felsen abbrechen, können wir den Einschlag im Steinschlagnetz detektieren. Wir wissen so genau, wie stark der Einschlag im Netz war.

Der Gründer von GMD, Steve Weingarth, möchte Umweltkatastrophen minimieren und unseren Lebensraum sicherer machen.
(c) GMD GmbH
Wie funktionieren die Sensoren?
Sie sind etwa 15 mal 15 Zentimeter groß, solarbetrieben, enthalten sechs Sensoren und sind durch ein Metallgehäuse geschützt. Sie messen die Stärke des Einschlags, Luftdruck, Temperatur, Luftfeuchtigkeit – also verschiedene Umweltfaktoren, um in einem nächsten Schritt davon ableiten zu können, was zu dem Ereignis geführt hat. Mit Machine Learning wollen wir daraus Präventionsmaßnahmen ableiten.
Die Sensoren wurden im April 2024 installiert. Was sind die bisherigen Erkenntnisse?
Heuer im Sommer gab es unterhalb der Festung Kufstein einen Steinschlag. Er passierte rund 75 Meter von einem Sensor entfernt. Wir konnten den Steinschlag registrieren und feststellen, welche Umweltfaktoren dazu geführt haben: In diesem Fall waren es unheimlich viel Regen mit massivem Anstieg von Luftfeuchtigkeit und gleichzeitigem Temperaturabfall. Das führte zu einer Gesteinsexplosion und infolgedessen zum Steinschlag.
Wie kommen Sie nun von solchen Daten zu einem Frühwarnsystem?
Das ist eine Schlüsselfrage. Wir sammeln bei verschiedenen Projekten unterschiedliche Daten in unserem Data-Hub und analysieren diese in Kooperation mit dem MCI. Zukünftig arbeiten wir auch mit einem Schweizer Forschungskomitee zusammen, um smarte Algorithmen für ein Frühwarnsystem zu entwickeln. Aktuell geht es noch darum, Daten zu erheben und zu sichern. Dafür braucht es möglichst viele Sensoren im Feld, die diese sammeln.
Gerade Unwetterereignisse wie Steinschläge oder Muren nach einem plötzlichen Starkregen sind oft sehr lokal. Wie ist es überhaupt möglich, ein standardisiertes Frühwarnsystem zu entwickeln?
Dafür braucht es eine Ausweitung der Messung von Umweltfaktoren in ganz Tirol. Wir sind derzeit in Gesprächen mit der Geosphere Austria genau zum Thema Starkregen. Es ist wichtig, mehr Wetterstationen in exponierten Lagen zu haben, um Wetterphänomene besser zu erheben, etwa Windrichtungen in einzelnen Regionen. Hier besteht noch eine Lücke. Wir können mit Wetterstationen zwar großflächige Wolkenbewegungen über dem gesamten alpinen Bereich prognostizieren, aber nicht, wie es in einzelnen Tälern aussieht. Mit mehr Messstationen erhöhen wir die Chancen, sintflutartige Regen besser vorhersagen zu können. Ein weiteres Problem sind Überschwemmungen und Muren infolge von Verklausungen von Bächen, also wenn Bäume Bäche blockieren und das Wasser sich dahinter aufstaut. Das bekommen wir hier in Tirol oft gar nicht mit. Mit 3D-Modellen und Sensoren könnte man Pegel und Fließgeschwindigkeit messen – das wird bisher kaum gemacht. In Tirol wird sehr viel in Schutzbauten investiert. Aber Schutzmechanismen wie Galerien haben ihre Grenzen – man kann nicht alles verbauen. Potenzial sehe ich in der Prävention. Da gibt es bereits einige technologische Überwachungssysteme, die man umsetzen könnte.
„Man kann nicht alles verbauen.“
Kufstein soll langfristig als Modellregion für Digitalisierung und Naturgefahrenmanagement etabliert werden. Warum eignet sich Kufstein dafür?
Kufstein war mehrfach von Hochwasser betroffen. Darüber hinaus gibt es die 80 Meter hohe Steilwand unterhalb der Festung Kufstein direkt in der Innenstadt, deren Instabilität zunimmt. Daher ist Kufstein die perfekte Modellregion. Die Messungen im Bereich des Steinschlags sind erst der Anfang. Langfristig wollen wir diese Erkenntnisse auf Hochwasser- und Murenschutz übertragen
Langfristiges Ziel ist auch, dass ein Smart-City-Network entsteht. Was ist damit gemeint?
Das ist ein digitales, vernetztes System, das Daten sammelt und für das Naturgefahrenmanagement nutzbar macht. Es besteht zum einen aus einem Warnsystem: Sensoren erfassen vor Ort relevante Daten. Daraus können Frühwarnungen für Naturgefahren wie Hochwasser, Muren oder Steinschlag abgeleitet werden. Kombiniert werden diese mit sogenannter People-Flow-Control, also Besucherlenkung. Dazu wird erfasst, wie viele Menschen sich in einem Gebiet aufhalten, sei es in einer Stadt oder im alpinen Raum. Dadurch lassen sich Wege gezielt sperren, Menschenströme umleiten oder Warnungen an Besucher geben. Kurz gesagt, ist Smart City ein intelligentes Frühwarn- und Steuerungssystem, das sowohl Naturgefahren überwacht als auch Besucherströme lenkt, um die Sicherheit von Menschen zu erhöhen und Regionen besser zu schützen.
Wie kann man sich die Alarmierung der Bevölkerung vorstellen?
Unser Ziel ist, mit dem Land Tirol zusammenzuarbeiten und unsere Daten in das Krisenmanagementsystem der Landeswarnzentrale einzuspielen, sodass diese über die nötigen Daten verfügt, um effektive Frühwarnungen auszusprechen. Aktuell werden Warnungen an die Bevölkerung über das AT-Alert übermittelt (Warnsystem der Landeszentralen, das österreichweit genutzt wird, Anm.). Dieses Warnsystem steckt noch in den Kinderschuhen. Der Ansatz ist meines Erachtens zwar gut, aber man kann noch vieles optimieren.
Wie könnte man das Warnsystem verbessern?
GMD arbeitet mit einer webbasierten Plattform, die auf den Daten unserer Sensoren aufbaut. Über eine Art digitale Landkarte – ähnlich wie Google Maps – werden dabei nicht nur das Gelände, sondern auch Gefahrenzonen angezeigt, die etwa von der Wildbach- und Lawinenverbauung definiert werden. Die Plattform ermöglicht eine detaillierte Analyse dieser Gefahrenzonen: Sensoren, Drohnenbefliegungen und Satellitendaten liefern Informationen darüber, wie aktiv bestimmte Bereiche sind. Durch die Kombination dieser Daten lässt sich das Risiko in den Gefahrenzonen bestmöglich bewerten, sodass Maßnahmen zur Sicherheit gezielt geplant werden können.
Welche Schritte sind notwendig, um von einem lokalen Projekt zur Steinschlagsicherung zu einer großflächigen Naturkatastrophenprävention zu gelangen?
Wir haben derzeit unterschiedlich kleine Pilotprojekte laufen – etwa DigiSchutz in Kufstein, das Wasserressourcen-Monitoring und Besucherstromzählungen bei der Neuen Prager Hütte sowie weitere Messungen am Hafelekar, wo wir Umweltfaktoren und ebenfalls Besucherstrom messen. Aus diesen Projekten entsteht das große Ganze.
Welchen Zeithorizont von der Datensammlung bis hin zum Warnsystem haben Sie im Kopf?
Unser Ziel ist, dass wir Mitte nächsten Jahres schon genügend Daten haben, sodass wir in die Prävention kommen. Aktuell scheitert es am Geld – wie so oft bei Start-ups. Wir sind bloß zu viert. Mit diesem kleinen Team lassen sich unsere Pilotprojekte ganz gut handeln. Wir bräuchten aber Investoren, damit wir genügend Leute anstellen können, um schnellstmöglich in die Entwicklung zu kommen. Wir haben weitere Projekte in Tirol und der Schweiz in der Pipeline, wo wir weiter wachsen könnten.
Sie sind eigentlich gelernter Werbekaufmann und haben Jura studiert. Woher kommt Ihr Interesse für Naturgefahrenprävention?
Ich war immer schon bergaffin und habe bei beratenden Ingenieuren in Innsbruck im Bauwerksmonitoring gearbeitet. Dann wollte ich neue Wege gehen, mein Wissen im Bereich Technologie in die Berge bringen und mich im Zivilschutz engagiere
Wo wollen Sie mit GMD in fünf Jahren stehen?
Unser Traum ist, Marktführer für Naturgefahrenprävention zu sein und ein flächendeckendes Frühwarnsystem ausgerollt zu haben. Wir haben jetzt schon Anfragen aus Norwegen, Indien und den USA, können diese aber nicht realisieren, weil wir noch zu klein sind. Wir sehen, dass ein riesiges Potenzial da ist, aber dass es noch Zeit und Geld braucht.
Könnte man Murenabgänge wie jene in Gschnitz dann zukünftig verhindern?
Verhindern glaube ich nicht, aber besser vorhersagen und die Bevölkerung besser schützen. Andererseits: Wenn wir die Gefahrenprävention perfektionieren könnten, könnte man mit smarten Sperrsystemen, die aus dem Boden fahren, Hochwasser oder Murenabgänge verhindern. Das ist wirklich noch Zukunftsmusik, aber unsere Vision ist es, unseren Lebensraum sicherer zu machen.
Vielen Dank für das Gespräch.
Warum ist das in Zeiten des Klimawandels wichtig?
Die Alpen zählen zu den am stärksten von der Klimakrise betroffenen Regionen Österreichs. Durch zunehmende Starkregenereignisse, Vermurungen und Steinschläge nimmt die Gefahr für die Bevölkerung und Infrastruktur zu. Das Innsbrucker Start-up GMD will mit Machine Learning und KI-gestützten Sensortechnologien Naturereignisse vorhersehbarer machen und präventive Sicherheitsmaßnahmen verbessern.
Diese Serie wird durch
Jeder und jede kann gegen die globale Erwärmung viel tun, doch auch neue Technologien haben großen Einfluss. Für Laien sind diese oft schwer zu verstehen. Darum erklären uns in der Interview-Serie ‚Über Morgen‘ die schlausten Köpfe der Welt ihre Erfindungen gegen die Klimakrise. Ob wir diese nun gut finden – oder auch nicht.
die Unterstützung des
VVT ermöglicht.
Anbringung von Sensoren unterhalb der Festung Kufstein. (c) GMD GmbH